Es geht nicht nur um Arigona Zogaj, es geht um viel mehr: Es geht um den Rechtsstaat in Österreich und die Aufrechterhaltung der Illusion, dass Österreich kein Einwanderungsland sei. Es ist eine der Lebenslügen dieses Landes wie die Neutralität, die angeblich immerwährend gilt, auch wenn sich Österreich an den EU-Battlegroups beteiligt, die bekanntlich eine andere Aufgabe als die Uno-Friedenstruppen haben. Friedenserzwingung ist etwas anderes als Friedenserhaltung, aber diesen Unterschied wollen die österreichischen Politiker nicht gerne erklären.

Genauso wird verschwiegen, dass Österreich längst ein Einwanderungsland ist. 1,4 Millionen Menschen haben einen Migrationshintergrund, in Wien trifft dies auf ein Drittel der Einwohner zu. Das ist die Realität, die aber ignoriert wird. Denn es gibt in Österreich weder ein transparentes Zuwanderungssystem mit klaren Kriterien wie etwa in Australien oder Kanada (seit 1967) noch eine systematische Integrationspolitik wie in Schweden oder den Niederlanden. So bleibt Ausländern aus Nicht-EU-Ländern, die aus welchen Gründen auch immer in Österreich leben wollen, eigentlich nur ein Antrag auf Asyl. Dass das Recht auf Asyl missbraucht wird, kommt vor. Aber das rechtfertigt nicht die stets negativ konnotierte Ausländerdebatte in Österreich.

An der 18-Jährigen Arigona, ihrer Mutter und ihren Geschwistern wird ein Exempel statuiert, um zu beweisen: "Recht muss Recht bleiben" , wie es Vizekanzler Josef Pröll formuliert hat. Oder Justizministerin Claudia Bandion-Ortner: "Entscheidungen des Höchstgerichts werden umgesetzt." Also, ab mit den Zogajs - zurück in den Kosovo.

Nach den Buchstaben des Gesetzes ist es richtig, nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, die die Ausweisung der Zogajs als rechtmäßig bestätigt, diese auch anzuordnen. Was rechtlich richtig ist, ist in diesem Fall aber ganz falsch, wenn man andere Vorgaben hernimmt. Denn Arigona Zogaj erfüllt genau jene Bedingungen, die laut Integrationsplan des Innenministeriums von Ausländern in Österreich erwartet werden: Sie spricht Deutsch (sogar oberösterreichischen Dialekt), ist voll integriert und strebt außerdem einen Beruf an, der hierzulande immer wichtiger wird - sie will Krankenschwester werden. Aber all das gilt nicht, weil die Eltern Arigonas Fehler gemacht haben - auch die schrille Öffentlichkeitsarbeit hat dazu beigetragen, dass die Behörden ihren Handlungsspielraum nicht nutzen wollen.

In anderen Fällen tun sie es sehr wohl, etwa wenn ausländische Sportler, die einmal Österreich zu Ruhm und Ehre gereichen könnten, um Einbürgerung ansuchen. Oder wenn Künstler wie Anna Netrebko, die zwar nicht gut Deutsch sprechen, aber weltberühmt sind, österreichische Staatsbürger werden wollen.

Nicht nur Ausländer werden nicht gleich behandelt, Inländern wird zugebilligt, Verständnisprobleme zu haben. So wurde das Verfahren gegen den Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler wegen der Ortstafeln mit der Begründung eingestellt, er habe "die strafrechtliche Tragweite seiner Handlungen nicht einschätzen können" . Und das, obwohl es ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs zu den zweisprachigen Ortstafeln gibt. Es stammt aus dem Jahr 2001 und ist noch immer nicht umgesetzt. Gleiches Recht für alle - das gilt in Österreich nicht. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD - Printausgabe, 2. Juli 2010)