Aufbereitungsanlage von Marjetica Potrc: Aus Toilettenhäuschen, die über der Emscher schweben, fließt das stinkende Abwasser über mehrere Filteranlagen in ein Gemüsebeet.

 

Foto: Ruhr.2010

U-Boot mit Kant-Zitat: "Ruhr-Atoll" von Andreas M. Kaufmann und Hans-Ulrich Reck. 

 

Foto: Ruhr.2010

Auf dem Dach einer Hochgarage im Stadtzentrum drehte ein Riesenrad seine Runden und über der Einfahrt zu einem Autobahntunnel lag ein knallgelbes Haus mit dem zynischen Titel "Bellevue". Ansonsten hatte Linz 09 keine wirklichen Eyecatcher zu bieten: Kunst im öffentlichen Raum war im Kulturhauptstadtjahr definitiv zu kurz gekommen.

Im Ruhrgebiet hingegen spielt sie eine zentrale Rolle. Ende Mai zum Beispiel wurde das Projekt "Schachtzeichen" realisiert: Auf einer Fläche von 4400 Quadratkilometern markierten insgesamt 311 große gelbe Ballons mit herabhängender Fahne - von der Ferne sahen sie aus wie Stecknadeln - eine Woche lang jene Orte, an denen bis in die 1980er-Jahre hinein Bergbau betrieben worden war.

Die Aktion wurde ein riesiger Erfolg. Denn wie beim "Berg der Erinnerungen", einer Ausstellung der Kulturhauptstadt Graz im Jahr 2003, fühlten sich die "Ruhrgebietler" - manche sagen auch "Ruhris" - miteinbezogen: Die Ballone mussten, da sie eine potenzielle Gefahr für die Flugfahrt darstellten, Tag und Nacht von Freiwilligen bewacht werden. Man campierte und erzählte sich Geschichten von damals, als das Ruhrgebiet der Wirtschaftsmotor Deutschlands war.

Für Oliver Scheytt, Geschäftsführer von Ruhr.2010, ist Schachtzeichen ein Wendepunkt im Jahr: "Einmal noch wurde der Mythos Ruhrpott heraufbeschworen. Zugleich begann die Kunst im öffentlichen Raum. Von nun an steht die Zukunft, die Werdung der Metropole Ruhr im Vordergrund."

An eine wirkliche "Metropole Ruhr" glauben aber nur die wenigsten: Auch wenn die Entfernungen zwischen den Städten im drittgrößten Ballungsgebiet Europas minimal sind, sind die Rivalitäten groß. Allerorts ist man von der Überlebensstrategie "Wandel durch Kultur", dem Motto des Kulturhauptstadtjahres, überzeugt.

Man setzt unter anderem auf die Kreativwirtschaft und wandelt devastierte Gebiete in Landschaftsparks um. Das wohl ehrgeizigste Projekt befasst sich mit der Emscher, die als Kloake missbraucht wurde, um die anderen beiden Flüsse, Lippe und Ruhr, sauber zu halten. Sie soll "renaturiert" werden, sprich: ihren natürlichen Verlauf zurückerhalten. Denn derzeit fließt die Emscher noch in einer Betonrinne - parallel zum künstlich angelegten Rhein-Herne-Kanal. Dazwischen liegt ein 34 Kilometer langer, schmaler, der Donauinsel nicht unähnlicher Streifen: Er war ein "Unort", auf die sich nur ein paar Schrebergärtner verirrten.

Warten auf den Fluss

Diese Emscherinsel ist bis 5. September Schauplatz des größten Kunstprojekts: Man fährt sie von Reckling- bis Oberhausen mit dem Rad ab und stößt ab und zu auf Interventionen, die sich in der Regel pointiert mit der Situation auseinandersetzen. Das Team Observatorium etwa errichtete auf der grünen Wiese eine 38 Meter lange, in Zickzackform angelegte Brücke mit drei Pavillons, die zum Verweilen und auch Übernachten einladen. "Warten auf den Fluss", so der Titel, kann man hier: Die Brücke ist ein Vorschlag, wie einmal die renaturierte, mäandernde Emscher fließen könnte.

Marc Dion hat einen alten Gastank liebevoll zu einer Beobachtungsstation für Ornithologen umgebaut, Silke Wagner brachte am Faulturm einer Kläranlage ein 600 Quadratmeter großes Mosaik mit mehr als fünf Millionen Steinchen an, das die Bergarbeiterproteste illustriert. Von weitem schon ist Monica Bonvicinis 2,5 Meter hoher Schriftzug "SATISFY ME" zu sehen: Die Buchstaben aus blankem Metall spiegeln die Landschaft - eine Müllhalde bei Gelsenkirchen. Lawrence Weiner kontert auf dem Gebäude der ehemaligen Kläranlage Bottrop-Ebel mit dem Satz "CATCH AS CATCH CAN": "Nimm's, wie's kommt!"

Rita Mc Bride veredelte die Gegend mit einem Obelisken. Er ist allerdings nicht aus Stein, sondern aus Carbon, also Kohlefaser (in Anspielung auf den Kohlenstoff). Ähnlich ging Ayse Erkmen vor: Sie setzte einem zylindrischen Kohlebunker die Krone auf - indem sie da Abschlussgeländer vergolden ließ. Und Marjetica Potrc installierte eine Aufbereitungsanlage: Aus Toilettenhäuschen, die über der Emscher schweben, fließt das stinkende Abwasser über mehrere Filteranlagen in ein Gemüsebeet.

Leider erst im Spätherbst wird die größte und mit Kosten von fünf Millionen Euro teuerste Installation fertiggestellt sein: eine 400 Meter lange, geschwungene, bunte Brücke von Tobias Rehberger. Und nur zum Teil umgesetzt werden konnte das Projekt "Ruhr-Atoll" von Norbert Bauer: Auf dem Baldeneysee schwimmen derzeit ein paar künstliche Inseln, darunter ein Eisberg von Andreas Kaiser, eine sinnlose Wasserförderanlage von Ilya Kabakov und ein U-Boot mit Kant-Zitat. Das große Herz für die Kunst von Franz West und viele andere Vorschläge sind hingegen nur als Modell zu sehen.

Zum Trost stößt man bei einer Tankstelle auf ein riesiges Diagramm des Wiener Teams Michael Zinganel / Michael Hieslmair - als Beitrag zum Projekt "B1/A40 - Die Schönheit der großen Straße". Diese zentrale Autobahn bietet sich zum Kunstgenuss geradezu an: Man steht zumeist im Stau. (Thomas Trenkler aus Essen/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2010)