Vassilakou über die Streitereien in den Bezirken: "Wir machen es uns selber nicht leicht."

Foto: derStandard.at/Winkler-Hermaden

"Es ist eine Illusion, dass es dort, wo Menschen zusammenarbeiten, keinen Streit gibt."

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"Für die Grünen ist Regieren kein Selbstzweck. Es ist nur ein Mittel, ein Weg, um jene Reformen zu erreichen, die wir wollen."

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Über eine rot-grüne Koalition nach der Wahl: "Hab ich gesagt, dass ich von den Roten geliebt werden möchte?"

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Die Chefin der Wiener Grünen ist aufgebracht: Es muss endlich Schluss sein mit dem Machterhalt der Wiener SPÖ. Die Grünen sollen nach der Wien-Wahl so stark werden, dass sie gemeinsam mit der SPÖ regieren können. An Kompromisse denkt Maria Vassilakou hier aber keineswegs, im Gegenteil: Für sie sind die Grünen die einzige Partei, die dem Machterhalt von Sozialdemokraten und ÖVP entgegensteuern kann. Ein Gespräch über Streitereien innerhalb der eigenen Reihen, Postings auf derStandard.at und Van der Bellen als Zugpferd.

derStandard.at: In Anbetracht der Situation der Wiener Grünen, die gerade in allen möglichen Bezirken aneinander geraten: Haben Sie zu wenig Führungsqualität?

Maria Vassilakou: Im Vorfeld von Wahlen kommt es immer wieder zu schwierigen Situationen, was auch daran liegt, dass Menschen manchmal in internen Abstimmungen unterliegen. Damit muss jeder Grünen-Chef leben. Das ist eben gelebte Demokratie. Was mich betrifft: Ich stehe zu allen demokratischen Wahlentscheidungen.

derStandard.at: Problematisch wenn diese Streitereien wenige Monate vor einer wichtigen Wahl auftauchen.

Vassilakou: Ja, mein Gott. Wir machen es uns selber nicht leicht. Wenn man eine Partei ist, die mit dem erklärten Ziel angetreten ist, gegen die gängige autoritäre Führungskultur aufzutreten und Basisdemokratie zu leben, dann gibt es Ereignisse, die man nicht nach Wunsch zimmern kann. Das gefällt mir manchmal und manchmal gar nicht.

derStandard.at: Auf unserer Homepage polarisieren die Grünen immer sehr. Wir würden Ihnen gern ein paar Postings vorlesen.

"in der privatwirtschaft wuerde ich mit einer firma die intern soviel streit hat wie die gruenen nie und nimma zusammenarbeiten. die gruenen bzw. deren interne streitereien sind ein bremsklotz fuer sinnvolle politik."

Vassilakou: Noch eine Illusion aus der Wirtschaftswelt! Wo Menschen zusammenkommen, gibt es auch Streit. Ich kenne in Wien nur einen Ort, wo das nicht so ist, den Zentralfriedhof. Und selbst dort kann man sich zwischen Mitternacht und ein Uhr früh nicht so sicher sein.

derStandard.at: "Die Grünen sind für ich nichts anderes als weltfremde Individiuen mit Biotonne, die aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammen und es sich deshalb leisten können, in ihrer Traumwelt herumzugeistern und gleichzeitig total angepasst und konservativ im Denken geworden sind."

Vassilakou: Die Grünen sind Menschen wie du und ich, die zu 99 Prozent unbezahlterweise ihre Kraft und Freizeit investieren und für Menschenrechte, Naturschutz kämpfen oder auch in einer Vielzahl von Sozialinitiativen tätig sind.

derStandard.at: Das entkräftet den mitklingenden Vorwurf einer abgehobenen Weltfremde nicht unbedingt.

Vassilakou: Das ist kein Vorwurf, sondern ein Vorurteil. Gerade grüne Wähler beschäftigen sich sehr intensiv und kritisch mit der Welt um sich. Ein Drittel unserer Wähler sind Studenten, das sagt doch schon alles.

derStandard.at: Noch eins: "'Mitregieren' ist doch kein Programm. Das geht schief."

Vassilakou: Absolut richtig. Aber Wahlen finden statt, um Regierungen zu bilden und bei der Wien-Wahl gehts um die Frage, wie wird die Stadt danach regiert, mit welchem Programm. Klar ist: Für die Grünen ist Regieren kein Selbstzweck. Es ist nur ein Mittel, ein Weg, um jene Reformen zu erreichen, die wir wollen. Und das ist einiges: Energieversorgung unabhängig von Öl und Gas, Umweltzonen in der Stadt gegen den Feinstaub, den 1-Euro-Fahrschein, Schulreformen, ein funktionierendes Kindergartensystem und, und, und.

derStandard.at: Warum brauchen Sie eigentlich Alexander Van der Bellen als Wahlkampf-Zugpferd?

Vassilakou: Weil ich gewinnen möchte. Weil ich das bestmöglichste Ergebnis erreichen möchte, das erreichbar ist. Was ist das für ein Wahlkampf, wo man die besten Pferde im Stall lässt?

derStandard.at: Die Grünen haben Ihre Kandidatenliste durch einen umfangreichen Wahlmodus erstellt. Jetzt taucht plötzlich Van der Bellen auf, der nicht basisdemokratisch gewählt wurde. Wie rechtfertigen Sie das?

Vassilakou: Auf der grünen Liste können auch all jene kandidieren, die das Grüne Projekt unterstützen. Und die können mittels Vorzugsstimmen gewählt werden. Schliesslich ist das Wahlvolk die breiteste grüne Basis.

derStandard.at: Van der Bellen hat gesagt, ein typischer VdB-Wähler sei gut ausgebildet mit mittlerem bis hohem Einkommen – Psychotherapeuten oder Theologen. So viele gibt es von denen aber nicht, dass sie 12.000 Vorzugsstimmen geben könnten.

Vassilakou: Och, ich bin sicher, den einen oder anderen wird es schon noch darüber hinaus geben. Und soviele Stimmen hat noch niemand in Wien erreicht und sollte es ihm gelingen, wäre ich sehr stolz auf ihn.

derStandard.at: Zwei Monate nachdem das Bohrloch im Golf aufging, haben sich die Grünen ihrer Themen besonnen und verlangt "Raus aus dem Öl". Im Ernst: Wie langsam kann man sein?

Vassilakou: Die Reaktion der Grünen kam scharf und prompt. Die Kampagne gegen die Energieabhängigkeit von Öl und Gas und die Positionierung der Grünen ist hier ja nichts Neues, das sagen wir seit Jahrzehnten. Die Grünen müssen nicht darauf warten, dass das Ölbohrloch leckt, um hier unseren Standpunkt kundzutun: Raus aus der Gas- und Ölwirtschaft.

derStandard.at: Aber in dem Fall war das für die Grünen aufgelegt. Es geht doch auch darum, die Öffentlichkeit zu erreichen.

Vassilakou: Ich kann nur darauf hinweisen, dass wir seit Jahrzehnten hier dasselbe predigen. Wir warten nicht, bis eine Katastrophe passiert, um aufzuspringen. Wir warnen seit Jahren und jetzt wieder.

derStandard.at: Wir verstehen die Logik nicht: Sie haben gewarnt, dann war die Ölkatastrophe, sie haben zwei Monate gewartet und dann – davon unabhängig – wieder gewarnt?

Vassilakou: Was ist politisch interessanter? Ist es wichtiger zu wissen, ich habe eine einzige Kraft in Österreich, die im Bereich "Raus aus der Ölwirtschaft" eine klare Sprache spricht? Oder geht es darum, schnell Kampagnen zu fahren?

derStandard.at: Ohne Kampagnen kommt die Stellung bei der Bevölkerung nunmal nicht deutlich an. Noble Zurückhaltung rentiert sich da vielleicht nicht ganz.

Vassilakou: Am wichtigsten ist, wofür die Grünen stehen. Und man darf nicht vergessen: Wir sind keine Großpartei, wir haben keine Millionen zur Verfügung. Wir versuchen mit wenigen Mitteln unser Bestes zu geben. Im Gegensatz zur SPÖ in Wien die 100.000 Euro täglich an Eigenwerbung fährt. Das sind Steuergelder, wohlgemerkt und es ist unbeschreiblich, welch immenses Finanz-Volumen fürs rote Selbstlob draufgeht. Das will ich ändern: Ich will zwei Milliarden Euro in die Stadt investieren - in Arbeitsplätze und Schulen. Und das Geld kann man abziehen von der sinnlosen Eigenwerbung und Lobhudelei. Außerdem von Skandalen, die eins nach dem anderen aufploppen: Skylink, Prater-Vorplatz..

derStandard.at: Wenn Sie mit der SPÖ nach der Wahl zusammenregieren wollen, ist es vielleicht nicht hilfreich, deren Werbebudget anzukreiden?

Vassilakou: Hab ich gesagt, dass ich von den Roten geliebt werden möchte? Regierungsarbeit hat nichts mit Liebe zu tun. Das Wichtigste ist, gestärkt mit einem guten Ergebnis aus der Wahl zu gehen. Und jeder, der möchte, dass Schluss ist mit dem Machtsystem der Wiener SPÖ, der einen weltoffenen Zugang möchte, für den ist Grün die Wahl.

derStandard.at: Das heißt: Möglichst stark aus der Wahl kommen, so dass SPÖ an Ihnen nicht vorbei kommt und dann ohne Kompromisse in die Regierung?

Vassilakou: Wieso sollte ich Kompromisse eingehen? Ich kämpfe kompromisslos für die Kommunalpolitik, in Menschenrechtsfragen, Umweltfragen, sozialer Gerechtigkeit. Regieren ist die Kunst des Machbaren. Man weiß, dass man innerhalb weniger Jahre, einen Teil dessen umsetzen kann, was man anstrebt. Aber Hallo! Das ist ein Teil. Ohne Grüne heißt es: Misswirtschaft zum Quadrat. Jetzt haben wir rote und dann haben wir die schwarze noch dazu. Na super! (nik, rwh, derStandard.at, 5.7.2010)