Siroos Mirzaei ist Vorstand des Instituts für Nuklearmedizin am Wilhelminenspital in Wien.

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"Nur die Methoden werden verfeinert, die Folterer hinterlassen weniger Spuren am Körper, deshalb wird es immer schwieriger, Folter nachzuweisen."

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daStandard.at: Es gibt unzählige Formen der Gewalt. Wann genau spricht man von Folter?

Siroos Mirzaei: In meiner Arbeit richte ich mich nach der Tokio-Deklaration des Weltärztebundes von 1975. Darin wird Folter so definiert: "...eine absichtliche systematische oder mutwillige Verursachung von physischem oder psychischem Leiden durch eine oder mehrere Personen, allein oder auf Befehl einer Autorität, um eine andere Person unter Druck zu Informationen zu zwingen, ein Geständnis zu erpressen oder aus einem anderen Grund".

Wie finden Folteropfer den Weg zu Ihnen?

Mirzaei: Organisationen wie die Caritas, die Diakonie, SOS Menschenrechte, Hemayat und andere weisen mir Personen zu, die für ihr Asylverfahren ein Gutachten benötigen, in dem bestätigt wird, dass Folter stattgefunden hat. Beispielsweise können ständige Kopfschmerzen psychische oder somatische Ursachen haben, und selbst wenn man bei 90 Prozent der Fälle von psychischen Ursachen ausgeht, muss man das medizinisch abklären. Sonst ist das ein "Kunstfehler".

Welche Untersuchungen nehmen Sie vor, um Folterspuren nachzuweisen?

Mirzaei: Ich halte mich an das Istanbul-Protokoll der Vereinten Nationen. Darin sind wegweisende Untersuchungsverfahren festgelegt. Beispielsweise geht es darum, Knochenbrüche nachzuweisen.

Welche rechtlichen und psychischen Konsequenzen haben solche Gutachten für Asylwerber?

Mirzaei: Aus rechtlicher Sicht ist ein solches Gutachten Bestandteil der Asylentscheidung. Ich als Mediziner kann bestätigen, dass das, was der Asylwerber bei seiner Einvernahme über Folter erzählt hat, stimmen kann. Die Asylbehörde entscheidet dann unabhängig und sollte dabei die Überlegung berücksichtigen, ob im Falle einer Abschiebung wieder Folter droht. Aus der Sicht der Behörde ist Folter manchmal so etwas wie ein Unfall, einfach ein Knochenbruch. Aber das darf man nicht so sehen, Folter hat gravierende Konsequenzen für einen Menschen. Psychologisch gesehen bewirkt eine solche Anerkennung der Folter große Erleichterung bei den Patienten, das sehe ich in ihren Gesichtern. Sie finden Bestätigung für das, was sie erlitten haben.

Ist die Welt im Hinblick auf Folter im Mittelalter stecken geblieben?

Mirzaei: Ja, das muss man leider sagen. Heute wenden weltweit mehr als 80 Staaten Folter an, im Prinzip gibt es da keinen Fortschritt. Nur die Methoden werden verfeinert, die Folterer hinterlassen weniger Spuren am Körper, deshalb wird es immer schwieriger, Folter nachzuweisen. Die Methoden reichen von brutaler körperlicher bis hin zu psychologischer Folter. Die Regionen verschieben sich, aber das Gesamtvolumen an Folter bleibt gleich. Eine Zeitlang wurde im ehemaligen Jugoslawien viel gefoltert, das ist heute nicht mehr so. Jetzt ist beispielsweise Tschetschenien ein solches Gebiet, ebenso mein Heimatland Iran.

Der 26. Juni ist der Internationale Tag zur Unterstützung der Opfer von Folter. Hilft das im Kampf gegen Folter? Was kann überhaupt gegen Folter getan werden?

Mirzaei: Es hilft indirekt. Indem man auf Folter aufmerksam macht, schafft man ein Bewusstsein für die Thematik. Letztendlich geht es darum, an Politiker zu appellieren, Folteropfern Unterstützung zu bieten, damit sie nach erlittener Folter ein neues Leben aufbauen können. Ich selbst komme aus einem Land, wo alles mit Gewalt gelöst wird, wo Misshandlungen und Hinrichtungen an der Tagesordnung stehen. Durch mein Engagement mit der Ärztegruppe von Amnesty International habe ich viel gelernt. Ich habe gelernt, dass es Sinn macht, in einer Gruppe die Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen zu erheben. So kann man auch Erfolgserlebnisse verbuchen, wenn es zum Beispiel gelingt, durch kollektiven zivilen Protest politische Gefangene zu befreien.

Sie sind im Iran aufgewachsen und leben seit 1980 in Österreich. Legen Sie in Ihrem Engagement den Schwerpunkt auf den Iran?

Mirzaei: Ich bin international vernetzt und denke global, aber die Situation im Iran ist für mich sicherlich ein Schwerpunkt. Ich habe ja sehr viele Freunde und Verwandte dort, und es tut weh zu sehen, dass der Iran bei Folter und Hinrichtungen Spitzenreiter ist.

Wie gehen Sie persönlich mit der Thematik Folter um?

Mirzaei: Natürlich ist es nicht aufbauend für die Psyche, wenn man immer mit Schmerz und Leid zu tun hat. Aber es macht Freude, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Folter angezeigt und angeprangert wird, und dass das Leid der Opfer anerkannt wird. Es ist aber nur ein ganz kleiner Schritt.