Turnhalle des Turnvereins in der Herklotzgasse 21

Foto: Projekt Herklotzgasse 21

Turnertempel, Innenansicht

Foto: Projekt Herklotzgasse 21

Café Palmhof

Foto: Projekt Herklotzgasse 21

Die verschiedenen Hörstationen sind über eine Telefonnummer zum Ortstarif abrufbar.

Foto: Jasmin Al-Kattib

Melanie Kadernoschka erinnert sich sehr genau an den Tag, an dem die große Synagoge, der Turnertempel, abbrannte: "Auf einmal gab's auf der Straße Tumult. Wir rannten zum Fenster, und in den Garten vom Tempel wurde alles rausgeschmissen... Man hat nur noch Bücher fliegen gesehen... Dann hat der ganze Tempel gebrannt.... Die Feuerwehr ist gekommen und hat nur geschaut, dass die Nebenhäuser nicht zu brennen beginnen."

Gedächtnis eines Stadtteils

Tragische wie diese, aber auch schöne Erinnerungen, prägen das Bild Wiens in den Köpfen der jüdischen Vertriebenen aus dem 15. Gemeindebezirk. Ella Kaufmann etwa beschreibt einen Ausschnitt ihrer Kindheit folgendermaßen: "Ich bin in der Herklotzgasse 21 in den Kindergarten gegangen... Dann bin ich dort in den Turnverein gegangen. Wir haben uns auch nachmittags getroffen und haben Theater gespielt... Es war sehr schön und wir waren sehr glücklich dort." Es sind die Stimmen einiger Überlebender, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mussten, die den Audioguide zur jüdischen Bezirksgeschichte begleiten. Eine Reise in die Vergangenheit, die in das Gedächtnis des Stadtteils einlädt.

Erinnerungen aufspüren

Vor ein paar Jahren begann eine Wiener Bürogemeinschaft, die in der Herklotzgasse 21 ihren Arbeitsalltag verbringt, diese Erinnerungen aufzuspüren. Aus losen Gesprächen mit Menschen, die von der wechselvollen Geschichte des Hauses erzählten, entwickelte sich ein großes Projekt, mit dem die bislang wenig erforschte und weitgehend unbekannte jüdische Geschichte des Grätzls rekonstruiert wurde. In Rudolfsheim-Fünfhaus selbst fanden die ProjektinitiatorInnen kaum Spuren jüdischen Lebens, in Israel und anderen neuen Heimatländern der Menschen aber stießen sie schließlich von einem Puzzlestein auf den nächsten.

Nachhaltig erlebbar machen

Aus der ursprünglichen Ausstellung im Jahr 2008, die heute nach wie vor jederzeit gegen Voranmeldung besucht werden kann, entflammte der Wunsch, die vergessene jüdische Geschichte nachhaltig erlebbar zu machen. So entstand ein Audioguide für den 15. Bezirk, in dem Orte und Menschen von dem Grätzl rund um die Herklotzgasse erzählen. "Unser Ansatz war es, im öffentlichen Raum anhand der verschiedenen Orte aber auch anhand der Themen abzubilden, was für das jüdische Leben relevant war", erklärt Michael Kofler vom Projektteam "Herklotzgasse 21". Die verschiedenen Hörstationen sind über eine Telefonnummer zum Ortstarif abrufbar, die Ausleihe von herkömmlichen Audioguides erübrigt sich.

Durch die Gassen des Grätzls

Melanie Kadernoschka, Ella Kaufmann, Katriel Fuchs und Moshe Jahoda sind nur einige der Namen hinter den Stimmen, die durch die Gassen des Grätzls führen. Sie erzählen von der Kindheit im jüdischen Waisenhaus in der Goldschlagstraße 84, der Schulzeit im Gymnasium am Henriettenplatz 6, dem Kindergarten und dem Turnverein in der Herklotzgasse 21, dem Turnertempel als Zentrum der Kultusgemeinde Sechshaus und der Storchenschul, dem orthodoxen Bethaus, das 1934 zur zweiten Synagoge der Gemeinde ausgebaut wurde.

Broadway von Rudolfsheim

Heute lässt sich das damalige Leben im Grätzl nur noch erahnen, wie zum Beispiel in der noch heute teils gepflasterten Reindorfgasse, die trotz ihres südlich anmutenden Charme rund um die Kirche und das Gasthaus Quell mit einer Vielzahl leer stehender Geschäftslokale zu kämpfen hat. Anfang der 30er Jahre hatte die Gasse "einen großstädtischen Geschäftsbetrieb", die Wiener Illustrierte "Der Kuckuck" aus 1932 beschreibt sie als den einstigen "Broadway von Rudolfsheim."

Blick der Gegenwart

Viele der im Audioguide beschriebenen Orte gibt es nicht mehr: den Turnertempel, das Gebäude der Wurstfabrik in der Herklotzgasse 17 oder etwa das Café Palmhof in der Mariahilferstraße 135. Durch die Erzählungen der Zeitzeugen und die an den jeweiligen Adressen angebrachten Schautafeln werden diese Orte aber in der Vorstellung des Besuchers wieder lebendig und relativieren so den Blick der Gegenwart. (Jasmin Al-Kattib, 30. Juni 2010, daStandard.at)