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Neue Dinge und (ehemalige) Grenzgebiete (hier der verlassene deutsch-polnische Autobahn-Grenzübergang Swiecko) ... ein Symposium in Wien wirft interdisziplinäre Blicke auf das komplexe Thema Migration.

Foto: AP/Sven Kaestner

Wien - Kommen zwei unterschiedliche Materialien miteinander in Kontakt, interessiert Physiker oder Chemiker besonders, was sich an der Grenze abspielt. "Neue Dinge passieren immer an der Grenzfläche", schlägt die Molekularbiologin Renee Schroeder eine mehrdeutige Brücke zu dem von ihr und der Sprachforscherin Ruth Wodak organisierten internationalen Symposium "Migration: Interdisziplinäre Perspektiven" (1.-3. Juli) an der Uni Wien. Geht es dabei doch einerseits um den Kontakt einander fremder Disziplinen aus Natur-, Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, andererseits um das brisante Thema Migration und damit den Kontakt einander fremder Menschen und Kulturen.

Inhalte und Hintergrund

Wodak und Schroeder haben im Vorjahr das "Interdisziplinäre Dialogforum" (IDee) an der Uni Wien gegründet, um die interdisziplinäre und fakultätenübergreifende Vernetzung der Wissenschafter an der Uni Wien zu fördern. Erstes nach außen sichtbares Zeichen dieser Initiative, die von den Wittgenstein-Preisträgern der Uni Wien, darunter Schroeder und Wodak, unterstützt wird, ist nun das Migrations-Symposium. Dabei sollen nicht nur die Auswirkungen von Sprachbarrieren, Stereotypen und Feindbildern aus politischer, historischer und kultureller Perspektive beleuchtet werden, sondern auch Migrationsprozesse aus naturwissenschaftlicher Sicht.

Ausschlaggebend für die Themenwahl war einerseits die Vielfalt laufender, aber nicht vernetzter Forschungen zum Thema an der Uni Wien, andrerseits aber auch der kommende Wiener Wahlkampf, von dem sich Schroeder erwartet, dass er noch "ungustiös" wird. "Daher wollten wir das Thema Migration auch von der wissenschaftlichen Seite her beleuchten. Es geht darum, den populistischen Strömungen eine rationale und differenzierte Debatte entgegenzuhalten", betonten beide Wissenschafterinnen.

Offenheit und Neugier

Was Wodak bei der Interdisziplinarität wichtig ist, hat wohl auch beim Thema Migration seine Geltung: "Die Art und Weise, wie man einander begegnet und einander zuhört, die Offenheit und Neugier etwas Neues zu lernen, halte ich grundsätzlich und auch in der Forschung für wichtig." Es gebe nach wie vor Wissenschafter, die kein Interesse an interdisziplinärer Arbeit hätten, in den Geisteswissenschaften beispielsweise seien die Disziplinengrenzen teilweise noch stark. Wodak, die immer wieder zur Sprache von Rechtspopulisten geforscht hat, findet es dagegen "sehr spannend", dass etwa beim Migrationsthema bestimmte mathematische Modelle aus den Naturwissenschaften, etwa zur Diffussion (Prozess, der zur gleichmäßigen Verteilung von Teilchen und damit zur Durchmischung zweier Stoffe führt, Anm.), auf einer sehr abstrakten Ebene auch für bestimmte sozialwissenschaftliche Vorgänge einsetzbar sein könnten.

Schroeder hofft, dass aus dem "IDee" auch konkrete Projekte herauskommen, wofür allerdings noch geeignete Strukturen etabliert werden müssten. "Denn die Instrumente zur Umsetzung von Interdisziplinarität sind sehr mangelhaft", sagte Schroeder. Eine Studentin der Molekularbiologie etwa, die zum Thema Ethik dissertieren wollte, habe große Probleme gehabt, weil eine Doktorarbeit auf zwei Fakultäten derzeit nur sehr schwer möglich sei. Auch bei der Begutachtung von Projektanträgen in der Forschungsförderung wären eigens für Interdisziplinarität geschulte Gutachter notwendig.

Mehr Forschung notwendig

Einig sind sich die beiden Wissenschafterinnen, dass mehr Forschung zum komplexen Thema Migration notwendig ist. Es gebe zwar an der Uni Wien eine Forschungsplattform zu dem Thema und vereinzelte Projekte, es fehle aber die Synergie; daher wäre, meint Wodak, ein eigenes interdisziplinäres Institut an der Uni für diesen Themenbereich wichtig. Schroeder würde dagegen die Einrichtung eines der geplanten Exzellenzcluster zum Thema Migration bevorzugen, der als Plattform die verschiedenen Aktivitäten vernetzt.

"Die Universitäten dürfen sich jedenfalls nicht diesem sozialpolitischen Thema verweigern", betonte Schroeder. Vor allem auch der Kontakt zur Politik sei wichtig, wobei sich Wodak wünscht, dass auch die Politik verstärkt "an uns Experten herantritt", dabei aber berücksichtigt, "dass gute Forschung Zeit braucht und unabhängig bleiben muss". (APA)