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Mission accomplished. Brasiliens Teamchef Dunga und sein Regisseur Kaka richten den Blick auf Oranje.

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Johannesburg - Brasiliens Beamtenfußballer hatten die '"Akte Chile" gerade erst ebenso routiniert wie emotionslos abgeheftet, da gelobten sie bereits den Ausbruch aus dem  Behörden-Alltag. "Wir werden gegen Holland unsere Herzen in die Schuhspitzen stecken, denn unser Ziel ist es, den brasilianischen Fans wieder große Freude zu bereiten", versprach Torschütze Robinho mit Blick auf das Viertelfinale am Freitag in Port Elizabeth.

Gegen Oranje könnte Brasilien gezwungen sein, ein anderes (sein wahres?) Gesichtzu  zeigen. Mehr Samba, weniger von dem Kraftfußball, der bei dieser Endrunde bisher viermal ausgereicht hat. Auch beim lockeren Abendspaziergang im Johannesburger Ellis Park, an dessen Ende ein nie gefährdetes 3:0 (2:0) im Achtelfinale gegen den südamerikanischen Konkurrenten stand. Dann, wohl nur dann könnte es gelingen, "die holländischen Orangen auszupressen", wie das Blatt Lance in kraftmeierischem Ton forderte.

Dieser Jargon passte gut zu dem, was die 54.096 Zuschauer auf dem Rasen gesehen hatten. Die herausragende Abwehr mit den schier unbezwingbaren Lucio und Juan im Zentrum sowie den auch offensiv herausragenden Michel Bastos und Maicon war erneut das Prunkstück der Selecao. "Wenn die Abwehr gut steht, gibt das dem ganzen Team Selbstvertrauen. Das ist das Wichtigste", sagte Kapitän Lucio - und sprach damit wohl seinem Trainer Carlos Dunga aus dem Herzen.

Doch obwohl ihnen der Rücken freigehalten wurde blieb den Zauberern Robinho und Kaka mancher Trick blieben im Hut stecken. Der Madrilene Kaka, nach langer Verletzungspause noch immer nicht der Alte, legte seine Beamtenmentalität nur einmal ab, als er das 2:0 von Luis Fabiano (38.) mit einem ansatzlosen Direktpass vorbereitete. Zuvor hatte  bezeichnenderweise ein Kopfballtor von Juan (35.) nach einer Standardsituation die Führung gegen die im vierten WM-Spiel erstmals wesentlich defensiver formierten Chilenen gebracht.

Kühle Präzision

Erstmals seit Wochen saß Dunga jedoch nach einem Match völlig entspannt bei einer Pressekonferenz, lächelte und plauderte. Der 46-Jährige spürte, dass es jetzt endlich jeder kapiert hat: Brasilien spielt nicht mehr das fast tagtäglich von den angeblich über 800 mitgereisten brasilianischen Journalisten geforderte "Jogo bonito" - Brasilien spielt Präzisionsfußball modernster Prägung, der bei Bedarf auch etwas fürs Auge bietet. 

Wenn beispielsweise Kaka den tödlichen Pass sucht, wenn Robinho elegant nach innen zieht oder wenn der höchst effektive Luis Fabiano an vorderster Front für Wirbel sorgt. "Dieses Spiel heute ist nicht nur das Spiel von heute. Dieses Spiel ist das Ergebnis von dreieinhalb Jahren Arbeit. Aber wir können uns noch in allen Bereichen verbessern", meinte Dunga, dessen Schützlinge im Ellis Park von Johannesburg hochzufrieden zum Mannschaftsbus schlenderten. "Wir müssen immer gewinnen, daran ändert sich nie etwas. Aber Druck und Adrenalin werden mit jedem Spiel größer", erklärte er die Vorstellung seiner Mannschaft. Robinho sorgte mit dem dritten Tor (59.) dann auch noch für ein standesgemäßes Ergebnis.

Kaka gab sich "zufrieden" mit seiner Rückkehr nach der Gelb-Rot-Sperre. "Ich habe erneut einen Pass zu einem Tor geben. Das ist meine Aufgabe", sagte er. Dann bemühte er Statistik, um Zweifel zu beseitigen: "Das war schon meine dritte Torvorlage."

Ökonomie vs Ökonomie

Aber er holte sich nach einem eher harmlosen Vergehen gegen Arturo Vidal auch bereits seine dritte Gelbe Karte ab. Bei einer weiteren im "vorweggenommenen Endspiel" (Maicon) gegen die Niederlande wäre er im Halbfinale gesperrt. "Das ist ein Problem, ich will nicht, dass er wieder ausfällt", sagte Dunga, und kündigte ein Gespräch mit seinem Kreativzentrum an. Kaka gab sich reumütig. "Ich werde vorsichtiger sein. Niemand will ein Halbfinale verpassen." Bereits im Gruppenspiel gegen Portugal zeigte sich, dass der Regisseur nicht adäquat ersetzt werden kann.

Vorher wartet aber mit der im bisherigen Turnierverlauf ebenfalls sehr ökonomisch agierenden Elftal der vermutlich erste echte Test für Dungas Beamte. "Ein schwerer Gegner", befand der Coach. "Unter den Europäern kommen sie den Südamerikanern technisch am nächsten. Sie spielen ein bisschen wie wir."

Dunga weiß, wie Oranje zu schlagen ist, als Spieler tat er es 1994 beim 3:2-Viertelfinalsieg und vier Jahre später in Frankreich im Halbfinale - Brasilien gewann im Elfmeterschießen. Auch dieses Mal sei der Rekordweltmeister Favorit. "Wegen der Qualität unserer Spieler sind wir das immer. Alle erwarten, dass wir den Titel holen. Aber das alleine bringt ihn uns nicht. Deshalb müssen wir so weiterarbeiten."

Mittelfeldspieler Ramires wird wegen seiner zweiten Gelben Karte fehlen. Der Einsatz der angeschlagenen Felipe Melo und Julio Baptista ist ungewiss. Umso mehr wird es auf Kaka ankommen. "Er zeigte, dass er Brasiliens größter Star werden kann", schrieb O Globo optimistisch, der Spieler selbst sieht sich "von Tag zu Tag besser" in Form. Die Voraussetzungen für etwas Magie scheinen gegeben. "Ich fühle mich wieder leichter", sagte Kaka.

Chile fehlte Durchschlagskraft

Chile war trotz des Ausscheidens eine der positiven Überraschungen dieser WM. Eine der sonst eher schwächeren Auswahlen Südamerikas überzeugte mit Angriffsspiel und Mut zum Risiko. Was fehlte war in den entscheidenden Phasen noch Abgebrühtheit sowie körperliche Durchschlagskraft. Mit jener Generation, die 2007 bei der U20-WM Bronze holte, dürfte aber auch in vier Jahren zu rechnen sein. Ob Teamchef Marcelo Bielsa da noch an der Seitenlinie stehen wird, bleibt offen. Fragen über seine Zukunft ließ der exzentrische Argentinier unbeantwortet.

Zum achten Mal in Serie ging die "Roja" gegen die Brasilianer als Verlierer vom Platz und wartet weiter auf das erste Viertelfinale seit 1962. "Brasiliens Überlegenheit war zu viel für uns, wir konnten sie nicht bremsen", meinte Bielsa. "Es ist schwer, sich einem Gegner anzupassen, wenn es so einen großen qualitativen Unterschied gibt. Wir haben nicht den nötigen Punch gehabt." (sid/APA/red)