Ansichtssache: Nasenpiercing leicht gemacht

Foto: derStandard.at/Isabel Russ

Marc André Stingel: "Ich durchleuchte jede Lippe, bevor ich sie durchstechen, um zu sehen ob da ein Gefäß ist."

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Der neueste Trend nennt sich Single Point Piercing: Ein Implantat wird unter der Haut eingesetzt, das eigentliche Schmuckstück wird angeschraubt und befindet sich an der Hautoberfläche.

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Bauchnabelpiercings sind bei Mädchen zwischen 14 und 20 Jahren besonders beliebt.

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Als Erstpiercing finden nur sterile Titan-, bzw. PTFE-Schmuckstücke ihren Einsatz.

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Surface_Piercings nennt man oberflächlich gesetzte Piercings, die einen Einstich- und einen Ausstichkanal besitzen.

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Naturvölker tun es schon ewig und auch in unseren Breiten hat das Piercen bereits Tradition. Allein in Österreich sind geschätzte 400.000 Menschen gepierct. Horrormeldungen, wie zuletzt ein 22-jähriger Israeli, der an den Folgen eines Zungenpiercings gestorben ist, geben immer wieder Anlass für Diskussionen.

Vorweg: Das Piercen mit tödlichem Ausgang ist eine Ausnahmeerscheinung, trotzdem wird die Komplikationsträchtigkeit dieses Modetrends vielfach kritisiert. Eine Studie der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Zentralkrankenhauses St.-Jürgen-Straße in Bremen hat gezeigt, dass sich bei jedem fünften Gepiercten lokale Probleme, wie vorübergehende Infektionen ergeben.
„Die Frage muss lauten, was man als Komplikation bewertet", betont Benedikt Folz, Leiter der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten der Karl-Hansen-Klinik in Bad Lippspringe, und zählt Schwellungen, kleine Blutungen und lokale Entzündungen eher zu den Unbequemlichkeiten, die von den meisten Betroffenen meist kommentarlos in Kauf genommen werden. Seltener, dafür umso dramatischer, sind Komplikationen, die einen stationären Aufenthalt inklusive operativem Eingriff nach sich ziehen. 

„Mit Sicherheit sind Zungenpiercings besonders komplikationsträchtig", weiß Benedikt Folz. Der Grund: Die Schleimhäute im Mundbereich sind per se nicht keimfrei. Ortsständige Bakterien dringen deshalb nach einem Zungenpiercing bis in den Zungenmuskel vor und können dort zur Bildung schwerer Abszesse und lebensgefährlicher septischer Krankheitsbilder führen. Mitunter kann der gut durchblutete Zungenkörper nach dem Durchdringen des Schmuckstücks auch massiv anschwellen, die Atemwege blockieren und eine Intubation unumgänglich machen.

Das Um und auf ist also das Wo. Am Ohr beispielsweise bereitet das Durchbohren des Läppchens praktisch niemals Probleme, während im Bereich des Ohrknorpels folgenschwere Infektionen wesentlich häufiger sind. „Der Knorpel verfügt über keine eigenen Blutgefäße, deshalb ist diese Region besonders infektionsgefährdet", erklärt Folz. Von der Verwendung einer Ohrpistole, die auch in der Viehwirtschaft zur Ohrmarkierung von Schweinen und Kälbern dient, rät er im Bereich des menschlichen Ohrknorpels dringend ab. Der Druck mit dem das Schmuckstück angelegt wird, ist zu hoch und bedingt ein Absterben des Knorpels, da das umgebende Perchondrium (Knorpelhaut) nicht mehr in der Lage ist, die Durchblutung des Ohrknorpels zu gewährleisten. 

Das Ohrläppchenpiercing auch Lobes genannt ist in unseren Breiten am weitesten verbreitet und wird vielfach nicht einmal als Piercing betrachtet. So infektionsunträchtig es auch sein mag, so fragwürdig ist dennoch, warum bereits einjährige Kinder zum Tragen dieses Ohrschmucks gezwungen werden. „Ich halte dieses Vorgehen für sehr bedenklich" so Folz. Eine ungefragte Verletzung, die sich zudem vor dem vierten Lebensjahr als nicht ganz ungefährlich erweist. Ihrem natürlichen Trieb folgend, entfernen Kleinkinder den Fremdkörper nämlich nicht selten aus den Ohrläppchen, um sie anschließend in Mund oder Nase zu stecken. Bleibt das „Flinserl" im Kehlkopf stecken, wird das vermeintlich harmlose Schmuckstück zur akuten Gefahr. 

Zumindest sollte doch jeder selbst entscheiden dürfen, ob ein Piercing den eigenen Körper ziert. Wenn die Gesundheit in der Folge trotzdem Schaden davon nimmt, hängt es möglicherweise mit den hygienischen Bedingungen, unter denen gestochen wird und den verwendeten Schmuckmaterialien zusammen. „Wer bereits von einer Nickelunverträglichkeit weiß, sollte es vermeiden sich irgendwo im Urlaub am Strand piercen zu lassen", so Folz und führt entstandene Kontaktallergien vor allem auf niedriggütigen Schmuck zurück. Dank einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2004 ist der Anteil an Nickelsensibilisierung unter Gepiercten deutlich zurückgegangen. Piercingschmuck darf heute nur mehr 0,2 Mikrogramm Nickel pro cm2 Oberfläche und Woche freisetzen. 

Wer aber darf oder soll sich denn nun an die heikle Tätigkeit heranwagen? Über diesen Punkt wird viel debattiert. Für manche Ärzte steht das Piercen im Widerspruch mit ihrem ärztlichen Berufsethos. „Jeder der es sich zutraut und das Handwerk beherrscht, sollte es auch machen dürfen", lautet Folzs Meinung dazu. Da Ärzte prinzipiell ein hohes Verständnis für Infektionen besitzen hält er ein Verbot für diese Berufsgruppe daher für übertrieben. 

„Auch Ärzte sollten erst dann piercen, wenn sie das Handwerk beherrschen", ergänzt Marc-André Stingel, gewerberechtlicher Geschäftsführer des Piercing-Studios Trend Agent in Wien und fordert die generelle Verpflichtung einer Ausbildung zum Bodypiercer. Auf der Suche nach einem seriösen Piercing-Studio empfiehlt Stingel nur Betriebe in Betracht zu ziehen, die bei der Österreichischen Wirtschaftskammer gemeldet sind und zu kontrollieren, ob der Name auf dem Gewerbeschein mit demjenigen der pierct übereinstimmt. 

Gesundheitliche Einwände gegen das Piercen prinzipiell, hat HNO-Experte Folz nicht: „Ich habe nie behauptet, dass das Teufelszeug ist und Gründe für ein generelles Piercing-Verbot sehe ich keine. Mein Credo ist, macht es verantwortlich und wenn Anzeichen einer Infektion auftauchen, dann sucht möglichst schnell einen Arzt auf". (derStandard.at, 2010)