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Ist es wirklich schon so spät? Ioan Holender bei der musikalischen Gala, im Zuge deren er auf seine 19 Jahre zurückblickte.

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Ein bunter, zur Bilanz anregender Abend.

Wien – Es wurden keine Kinder gereicht, damit er sie auf offener Bühne segnet. Es wurde auch nicht eine Art Sinatra-Abend, bei dem er I Did It My Way sang. Es wurde einfach der längste Abend nicht nur dieser längsten Operndirektion aller Staatsopernzeiten (19 Jahre), bei dem Opernstars unentgeltlich sangen und die Einnahmen von 100.000 Euro einem Sozialprojekt in Moldavien zukommen.

Von Johan Botha bis Thomas Quasthoff waren viele zugegen. Domingo. Netrebko. Dessay. Keenlyside. Struckmann. Damrau. Pirgu. Kühmeier. Eröd. Kirchschlager. Und auch Hampson. Sie alle hatten während der Amtszeit des Abendmoderators Ioan Holender seiner Meinung nach markante Rollen zu absolvieren. Und sie kamen. Nur Elina Garanca sagte ab, womöglich hat sie Holenders Buch Ich bin noch nicht fertig gelesen, in dem er ihr einen durch Erfolg ungünstigen Charakterwandel unterstellt.

Vielleicht hätten auch die Wiener Philharmoniker als Staatsopernorchester gerne abgesagt. Holender nannte sie im Buch "führungslos, müde und demotiviert", was gleich zu Beginn des sechsstündigen Abends zu einer witzigen Szene führte: In der einleitenden Rede dankte Holender dem auf der Bühne weilenden Orchester verbal und verbeugend. Jedoch erntete er dafür nur eiskalte philharmonische Blicke. Rache muss sein. In ein schöneres Bild hätte man den Konflikt zwischen einem Direktor, der auf die Musikqualität des Hauses zu achten hat, und einem Orchester, welches das Rückgrat dieser Qualität bildet, als Konzertorchester in den letzten Jahren jedoch immer umtriebiger wurde, nicht verewigen können.

Zwischen Moderator und Sängern natürlich mehr Herzlichkeit. Holender ist ja der Sängerintendant schlechthin. Nachdem er vom Künstlervermittler schließlich nach dem Tod von Eberhard Waechters Direktor geworden war, hat ihn sein Gespür für Stimmen (und deren zukünftige Möglichkeiten) nie verlassen. Auf Basis dieses Talents hat er eine Ensemblestruktur geschaffen, die der Staatsoper ein solides vokales Fundament verlieh. Hinzu kamen natürlich arrivierte Gäste, so stimmte die Mischung. Daneben war der Erfolg vor allem ein quantitativer: Durchschnittlich 96 Prozent Auslastung sind sehr beachtlich, seinem Nachfolger hinterlässt Holender fast 12 Millionen Euro Reserven. Auf Basis solcher Zahlen verwundert es nicht, dass er dreimal verlängert wurde. Er sorgte für geregelten Saisonablauf, war im Haus überpräsent und effizient und verwaltete den Ruf der Staatsoper durchaus solide.

Dass er lange benötigte, um bei Dirigenten die Qualität zu erhöhen und auch spannende Regisseure zu engagieren, störte offenbar nicht. Und so gewährte man ihm eine gefühlte Ewigkeit, seine Richtung leicht zu ändern, und sich mitunter gar als Advokat subjektiver Inszenierungen zu präsentieren. So wie jedoch nicht genug Uraufführungen kamen, so hat es Holender auch nicht geschafft, das Topniveau der Regisseure mit glaubhafter Kontinuität zu präsentieren. Kein Marthaler, kein Herheim. Konwitschnys Don Carlos war eine Übernahme aus Deutschland.

Klar: Ein Repertoirehaus kann nicht experimentierfreudig wie ein Festival sein. Aber gerade mit der gefestigten Position, die Holender innehatte, wäre um einige schön erzählende Mainstreaminszenierungen mehr Platz für Herausforderndes durchsetzbar gewesen. Glück fehlte vielleicht auch. So hat er Konwitschny den Ring angeboten. Wurde leider nichts daraus.

Zweifellos gibt es auch Nachhaltiges: Probebühne. Untertitelsystem. Museum. Kinderoperschule. Opernzelt, Übertragungen auf dem Karajanplatz, die Aufarbeitung des NS-Zeit an der Staatsoper. Wichtig. In Erinnerung wird zweifellos aber auch die Art, wie sich Holender nun verabschiedet, bleiben – personenkultartig wuchs er zuletzt aus dem Amt hinaus: Abschiedsbücher, Fotobroschüren, Opernball- und Kinderopernsänger, Abschiedpressekonferenzen, Matinee, Publikumsgespräch und nicht zuletzt dieser musikalische Rückblick. Das ergibt eine Abschiedstournee in eigener Bilanzsache, die schon etwas von Selbstapotheose hat.

Knapp nach Mitternacht meinte Holender verabschiedend: "Nehm' ma's nicht zu schwer". Was bleibt uns übrig. Der eine geht. Der andere kommt. So war es doch immer. Und man ist ja nicht aus der Welt. Holender bezieht ja ein Büro direkt neben der Staatsoper. Wer weiß: Vielleicht ersinnt jemand auch ein TV-Format für ihn – etwa "Holender sucht den Opernstar". Spannend auch, wie lange es dauert, bis er – zwischen Tokio und New York reisend – beginnt, die Arbeit seiner Nachfolger zu kommentieren. Wäre unterhaltsam. Als Boshafter war er immer am originellsten. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD/Printausgabe, 28.06.2010)