"Ich mag diese langweiligen Regale." Aber auch der ausrangierte Friseurstuhl erweist Herrn Scholz seine Dienste: Die Kopfstütze macht das Bücherlesen bequem.

(Foto: Lisi Specht)

Foto: Lisi Specht

Kurt Scholz, ehemaliger Wiener Stadtschulratspräsident, ist ein Freund der Integration. Wojciech Czaja zeigte er, wie er Billy-Regale in eine Landschaft aus Antiquitäten fügt.

"Dritter Stock – und das ohne Lift! Das hält mich fit. Doch das wirklich Faszinierende am 7. Bezirk ist, dass das Auto in der Garage manchmal zwei bis drei Wochen lang verstaubt. Diese Gegend ist großartig angebunden. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind eine perfekte Kutsche für die tägliche Mobilität. Außerdem gibt es hier Uhrmacher, leicht verschrobene Geschäfte, Kioske mit einer ausgefallenen Auswahl an internationalen Zeitschriften und natürlich jede Menge Beisln und internationale Lokale.

Das Internationale ist mir wichtig. Natürlich gibt es in Wien auch weniger alte und weniger verschnarchte und weniger großbürgerliche und dafür etwas buntere Grätzel, aber so eine Verwebung wie hier ist doch wunderbar! Ich war immer schon ein Freund der Integration. In meinen zehn Jahren als Stadtschulratspräsident habe ich alles Erdenkliche getan, um eine möglichst große Buntheit des Lebens in die Schulen einziehen zu lassen.

Irgendwann stößt man aber an seine Grenzen. Vor allem Kinder der zweiten Generation befinden sich oft in der Geiselhaft ihres Wohnorts und der Wiener Siedlungssituation. Das ist eine tragische Schattenseite des österreichischen Schulwesens. Mich regt das heute noch auf!

Aber waren wir nicht beim Thema Wohnen? Früher habe ich mit meinem Sohn Laurenz im 9. Bezirk neben der Schubertkirche gewohnt. Wir waren ein Zwei-Männer-Haushalt. Als ich dann erstens meine jetzige Frau Brigitte kennengelernt und zweitens gesehen habe, dass auch mein Sohn nicht mehr ganz so allein war, bin ich vor circa zehn Jahren in diese Wohnung in die Neustiftgasse einge- zogen.

Meine Frau wohnt hier schon seit Ewigkeiten. Die Wohnung war also mehr oder weniger fixfertig. Ich habe mich hier immer wohlgefühlt, aber natürlich ist das Sich-Einfügen in eine bestehende Wohnung nicht so einfach. Schon gar nicht dann, wenn man mit nichts außer ein paar Büchern, CDs und DVDs einzieht. Doch das ist eh nur ein kleiner Bruch-teil meines Bücherbestandes. Der Großteil ist in meinem Elternhaus in Oberösterreich. Und das ist furchtbar, denn eine Bibliothek, die zweigeteilt ist, ist keine Bibliothek! Erst letztes Wochenende habe ich begonnen, die Bücher neu zu sortieren. Sie soll endlich wieder alphabetisch geordnet werden, nachdem jetzt jahrelang alles so chaotisch war. Ich bin erst beim Buchstaben C angelangt, und es sind schon acht Meter. Eine Katastrophe.

Eines der wenigen Möbelstücke, die von mir sind, ist dieser alte Friseurstuhl aus der Nachkriegszeit, in dem ich sitze. Das ist ein praktisches Teil, das mich in gewisser Weise an meine Kindheit am Lande erinnert. Es verdeutlicht die Kreativität, die man an den Tag legen muss, wenn man in einer gewissen Notlage ist. Damals musste man Socken stopfen und Mäntel umnähen, da musste man umbauen und adaptieren.

Das Gleiche ist auch mit diesem alten Stuhl passiert. Da wurde einfach eine zusätzliche Kopfstütze dazugebaut, die früher zum Haarewaschen diente. Heute erleichtert sie die Bequemlichkeit beim Lesen.

Der Rest der Wohnung ist eine Mischung aus hübschen alten Antiquitäten und weißen Billy-Regalen von Ikea. Ich finde, man sollte sich nicht immer den Zwang auferlegen, dass alles super picobello sein muss. Das Überdrüber-Gestylte ist letztlich wieder ein Gedankenprodukt von der Stange. Das will ich nicht. Und daher mag ich diese langweiligen Regale. Das einzige Problem ist, dass sich die Fächer immer durchbiegen, wenn zu viel drin steht. Da sind wir wieder bei den Büchern. Was soll's. Ich resigniere." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2010)