Seit 1954 ist das Lycée Français de Vienne im Palais Clam-Gallas in Wien untergebracht. Zwischen 1100 und 1300 Schülerinnen und Schüler werden jährlich in der internationalen Schule unterrichtet.

Foto: Lycee Francais

Jean Bastianellis Stimme gleitet ein wenig ins Pathetische, wenn er die hohen Werte der französischen Revolution zitiert: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Mit weniger kann man sich aber nicht zufriedengeben, um zu beschreiben, was im Kern die französische Schulidee ausmacht. Auch vom Humanismus redet er, vom Prinzip der Laizität, von Chancengleichheit und Respekt vor dem Einzelnen.

Bastianelli ist Direktor des Lycée Français de Vienne, "Proviseur" lautet die französische Bezeichnung seines Postens, was so viel ist wie ein Verwaltungsleiter in diplomatischer Mission. Denn das Lycée Français ist keine private Schule, sondern eine staatliche Einrichtung der französischen Republik, und der "Proviseur" , der alle fünf Jahre wechselt, ist dem französischen Außenministerium unterstellt, das auch zu einem großen Teil die Auslandsschulen finanziert.

Keine andere Nation treibt diesen Aufwand: Mehr als 450 Schulen in 130 Ländern sind in dem Netz der "Agence pour l'enseignement français à l'étranger" (aefe) zusammengefasst, und sie funktionieren alle nach demselben Muster und den Vorgaben des französischen Bildungsministeriums. Wenn Direktor Bastianelli mit seinen sechs Kindern, von denen drei noch zur Schule gehen, wieder umziehen wird, wechseln sie zwar das Land, bleiben aber im selben Schulsystem. Für Familien, die oft ihren Lebensmittelpunkt verändern, ist das eine praktische Sache.

Ganztagsunterricht

Französische Schulen sind Ganztagsschulen. Die Stundenbelastung liegt insgesamt nicht unbedingt höher als an vergleichbaren österreichischen Institutionen, aber der Unterricht ist anders verteilt, auf einen Vormittags- und einen Nachmittagsblock. Dazwischen gibt die Kantine in Wien täglich rund 2000 Mittagessen aus. "Wir betreuen nicht ganztägig, wir unterrichten den ganzen Tag, auch die Nachmittagsstunden sind Lehrstunden" , betont Roland Wielander, Lehrer am Lycée und Verbindungsmann zum österreichischen Stadtschulrat. Die Schüler im französischen System seien leistungsorientierter, meint Wielander und sie lernten besser, ihre Zeit einzuteilen.

Die Unterrichtssprache am Lycée ist Französisch, daneben gibt es Fächer auf Deutsch und Sprachförderung auf verschiedenen Niveaus. Die Klassen sind international durchmischt. In der "terminale" , die jetzt das Baccalauréat beziehungsweise zusätzlich die Matura macht, ist zum Beispiel Ferat mit algerischer und österreichischer Staatsbürgerschaft. Sein perfektes Deutsch lernte er an der Schule, zu Hause spricht er Französisch oder auch Schriftarabisch. Josephas Mutter ist Frankoösterreicherin, ihr Vater Amerikaner. Josepha hat bis zum 15. Lebensjahr in Paris gelebt und kam dann ans Wiener Lycée. Mark ist in Bulgarien geboren, dass er am Lycée landete, war zunächst einer Laune seiner Mutter geschuldet. Und Simon ist ein Deutscher, der nie in Deutschland gelebt hat. Der Sohn eines Uno-Mitarbeiters besuchte früher den französischen Zweig der École Européenne in Luxemburg, bevor die Familie dann vor fünf Jahren nach Wien umzog.

Mit mehr als der Hälfte hat das Wiener Lycée aber auch einen sehr hohen Anteil an österreichischen Schülern. "Wien ist nicht unbedingt frankophon, aber frankophil" , sagt der Direktor, und das französische Gymnasium ist eine Alternative für jene, die es international haben wollen, aber eben nicht unbedingt amerikanisch. Wer etwas auf sich hält und es sich leisten kann, schickt also Kind und Kindeskind hierher.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - ganz gehen die Ideale natürlich nicht auf. Das französische Schulsystem gilt als streng und reglementiert, sein unbedingter Export ins Ausland riecht nach kolonialem Erbe, und natürlich ist das Lycée Français eine Eliteschmiede, die sich nur leisten kann, wer 5000 Euro Schulgeld im Jahr aufbringt. Doch eines führt es exemplarisch vor: Mehrsprachigkeit an Schulen ist ein absoluter Vorteil, wenn man die einzelnen Muttersprachen wertschätzt und fördert. Für Einwanderungsgesellschaften müssen internationale Schulen das Modell der Zukunft sein. (Andrea Roedig/DER STANDARD Printausgabe, 26.6.2010)