Klagenfurt - Was wäre, wenn Penelope nicht auf Odysseus gewartet hätte, und was, wenn der Richter und nicht der Angeklagte den Krug zerbrach, oder die Familien von Romeo und Julia nicht verfeindet wären? Immer schon war es die Aufgabe der Literatur, Fragen zu stellen. Fragen werden auch - nunmehr seit 34 Jahren - über die Sinnhaftigkeit des Klagenfurter Bachmannpreises gestellt. Für die einen verkommt hier Literatur zur Partitur des medialen Rummels, anderen gilt die Veranstaltung als schnöde Literaturbörse.

Allerdings feiert man an den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" seit Jahrzehnten recht erfolgreich die Wiederkehr des immer ein wenig Neuen, heuer beispielsweise gibt's zum ersten Mal Public Viewing am Lendkanal. Nachdem am Eröffnungsabend doch eher ungewohnt die ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Krisen des Planeten im Allgemeinen und die Formschwäche der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Besonderen zur Sprache kamen, legte auch die deutsche Autorin Sibylle Lewitscharoff ihre Eröffnungsrede erfrischend an. Unter dem Titel "Über die Niederlage" schlug die studierte Religionswissenschafterin den Bogen von den großen Leidensfiguren Hiob und Jesus zu ihrer Lieblingsphantasmagorie, die lautet: Was wäre, wenn der Bachmannpreis nur alle zehn Jahre stattfände und von den zehn Teilnehmern einer gekürt, die andern neun aber erwürgt würden.

So schlimm ist es dann aber am ersten Tag mit seinen fünf Lesungen nicht gekommen. Jedenfalls nicht ganz. Sabina Janesch erzählte von Ukrainern, die gegen Ende des zweiten Weltkriegs in eine fremde Gegend und ein neues Grauen umgesiedelt werden. Volker H. Altwasser verarbeitete Themen wie maritime Industrie und den Kampf des Mannes mit Fisch und Frau. Christoph Kloeble beschrieb die verkehrte Welt einer Vater-Sohn-Beziehung und Daniel Mezger einen Mann in einer emotionalen Extremsituation. Zu überzeugen vermochten diese Texte, außer einer beeindruckende Fischhäutungsszene bei Altwasser, die heuer wesentlich strenger agierende Jury nicht. Allein die Lesung der jungen Dorothee Elminger (Jahrgang 1985), die in ihrem Text vor der Folie eines Weltuntergangsszenarios eine Utopie entwirft, stieß auf einhelliges Lob.

Juror Paul Jandl konstatierte, der Bachmannpreis erweise sich zunehmend als Sammelbecken für Texte über Wahn und Demenz. Ein hartes, für diesen Tag aber nicht ganz falsches Verdikt. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe, 25.06.2010)