Jeder dritte Neukredit hätte 2002 in der EU nicht gewährt werden dürfen, wären die neuen Eigenkapitalbestimmungen ("Basel II") für Banken bereits in Kraft. Wie sich das im Kri- senjahr in der Pleitenstatistik, beim Wirtschaftswachstum und den Arbeitslosen ausgewirkt hätte, ist leicht auszurechnen.

Unter Führung der USA wurde ein Konzept erarbeitet, das die Eigenkapitalunterlegung eines Kredites durch die Bank an die Zahlungsstärke des Kreditnehmers bindet. Mehr Risiko bedeutet mehr Eigenkapitalerfordernis und damit auch mehr Kosten für den Kreditnehmer. Dieses System soll dazu führen, dass die Banken Kredite risikobewusster vergeben - so mancher Sanierungsfall würde ab 2007 dadurch keinen Kredit mehr bekommen, da er zu viel Eigenkapital des Institutes binden würde.

USA distanziert sich

Die USA selbst haben sich recht schnell von ihrer "Erfindung" wieder distanziert - weil Basel II jeden Konjunkturabschwung verstärken würde, argumentierte der US-Kongress. In guten Zeiten würde sich die Bonität der Unternehmen verbessern, sie bekämen billigen Kredit, wenn die Kassen voll wären. In schlechten Zeiten hingegen, wenn sich die Bonität vermindere, würde die Kreditaufnahme teurer bis unmöglich. Darüber hinaus würde Basel II auch die Bemühungen der Notenbanken zur Wirtschaftsankurbelung behindern: Wer in schlechten Zeiten keinen oder nur einen sehr teueren Kredit bekommt, hat nichts von etwaigen Zinssenkungen. Nur zehn US-Banken werden folgerichtig die Basel-II-Vorschriften einführen, während die EU daraus eine Richtlinie für alle Institute machen will - mit der Verpflichtung der Mitgliedsländer, sie in nationales Recht zu übernehmen.

Besonders Österreichs Wirtschaft kann sich aufgrund ihrer schlechten Eigenkapitalausstattung auf einige Überraschungen gefasst machen. Liegt in der EU der Anteil der Fremdmittel im Schnitt bei 47 Prozent, haben die heimischen Unternehmen durchschnittlich 63 Prozent Fremdmittel in ihrer Bilanz. Und auch die Banken sind eher mager ausgestattet: Während beispielsweise britische Banken im Schnitt auf 20 Prozent Eigenkapital kommen, sind es in Österreich nur wenig mehr als fünf Prozent. Ein "Credit-Crunch", die äußerst restriktive Vergabe von Krediten bei schlechter Konjunktur, ist vorprogrammiert.

Handel und Tourismus in der Zwickmühle

Vor allem Branchen mit klassisch schlechter Eigenkapitalquote wie der Handel - 53 Prozent der Unternehmen schrieben 2002 Verluste - oder der Fremdenverkehrssektor könnten immer häufiger erleben, wie Bankdirektoren mit Hinweis auf Basel II den Kopf schütteln. Zwar wurde in der letzten Baseler Präsidiumssitzung eine Untergrenze von einer Million Euro eingezogen - Unternehmen, die insgesamt unter dieser Marke bleiben, fallen nicht mehr unter Basel II - aber viele Institute orientieren sich dennoch "vorsichtshalber" intern an den neuen Vorschriften.

Die Hoffnung, dass Basel II langfristig zu einer finanziellen Verbesserung der heimischen, noch immer sehr kreditabhängigen Wirtschaft führen wird, ist allerdings auch berechtigt. Dazu müssten aber nachhaltigere steuerliche Maßnahmen beschlossen werden als die Zuckerln, die der Finanzminister derzeit an wenige gut verdienende Unternehmen austeilt. 90 Prozent aller Unternehmen, darunter alle Kapitalgesellschaften, sind bei der steuerlichen Bevorzugung nicht entnommener Gewinne ausgenommen (warum eigentlich?). Solange nur solche kosmetischen "Maßnahmen" für Wahlprospekte getroffen werden, droht Basel II zu einer schlimmen Rosskur für die Wirtschaft zu werden. Eine Kur, die viele vor der Genesung umbringt.