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Amerikanischer GI vor dem irakischen Ölministerium

Foto: EPA/Xhemaj

Vor einem Jahrhundert war Mesopotamien noch fest in den Händen der europäischen Kolonialmächte. So wie Briten und Franzosen einander das zerfallene Osmanische Reich zuschanzten, so einigten sie sich auf die noch nicht erschlossenen Ölfelder um Mossul und Kirkuk. Premierminister Georges Clemenceau ("Öl ist das Blut der Erde") und sein britischer Amtskollege Lloyd George schlugen sich dabei laut Augenzeugen fast die Köpfe ein; im Abkommen von San Remo 1920 schlossen sie einen Kompromiss: London erhielt das Völkerbundmandat über das Zweistromland, Paris ein Viertel der - damals erst erhofften - Ölproduktion am Euphrat und Tigris.

Jetzt wollten aber die Amerikaner auch mitmischen. Denn für ihren Präsidenten Woodrow Wilson wurde das "Fehlen fremder Ölressourcen das größte internationale Problem" (so Daniel Yergin in seinem Buch "The Prize"). Wilson verlangte eine "offene Türe für alle" zur Ausbeutung der Bodenschätze im Mittleren Osten. Auf politischen Druck Washingtons mussten Franzosen und Briten die Standard Oil und andere US-Firmen 1928 in die von ihnen gegründete "Iraq Petroleum" aufnehmen.

Fuß in der Tür

Damit hatten die Amerikaner einen Fuß in der Tür. Und schlossen sie gleich wieder hinter sich: Im "Abkommen der roten Linie" verpflichteten sich die nachmaligen Erdöl-Multis BP, Shell, ExxonMobil, ChevronTexaco oder Total ein Gebiet von Istanbul bis Jemen gemeinsam auszubeuten - sowie unter Ausschluss aller anderen.

Das ging so lange gut, bis der Zweite Weltkrieg und neuer Energiebedarf den US-Innenminister Harold Ickes ausrufen ließ: "Uns geht das Öl aus!" Die Amerikaner ergriffen erneut die Offensive und verlangten die Aufhebung des Abkommens, das ihnen den Zutritt zum Öl des Nahen Ostens geöffnet hatte.

Saudischer Ölschatz

Denn inzwischen hatten sie den saudischen Ölschatz entdeckt; den wollten sie gerne allein ausbeuten. Die Franzosen leisteten heftigen Widerstand und willigten erst ein, als sie eine Aufstockung ihrer irakischen Ölförderanteile zugestanden erhielten. 1948 fiel das "Abkommen der roten Linie", und die USA konnten mit König Saud und dem Schah von Persien exklusive Schürfrechte vereinbaren.

Hingegen verloren sie das Interesse am Irak, der 1958 unabhängig wurde und sich zunehmend nationalistisch, ja marxistisch gebärdete. Ein Land bekundete damit weniger Mühe: Frankreich, das seine starke Positionen im Zweistromland weiter ausbaute. 1972 verstaatlichte der irakische Vizepräsident Saddam Hussein zwar die "Iraq Petroleum", doch zwei Wochen später reiste er nach Paris und garantierte Präsident Georges Pompidou die französischen Ölinteressen.

"Nationalismus im besten Sinn des Wortes"

"Der Nationalismus im besten Sinn des Wortes, ja auch der Sozialismus als Mittel, Energien zu wecken und die Gesellschaft zu organisieren - solche Gefühle liegen den Franzosen sehr nahe", meinte 1974 der französische Premierminister, ein gewisser Jacques Chirac. Bagdad wurde zum zweitwichtigsten Öllieferanten Frankreichs und kaufte im Gegenzug in Paris Rüstungsgüter und Atomanlagen (die dann von den Israelis 1981 zerstört wurden).

Frankreichs Präsident Fran¸cois Mitterrand machte auch - widerwillig, aber doch - mit Fremdenlegionären im ersten Golfkrieg 1991 mit. Damals hatte es George Bush senior nicht direkt auf das irakische Öl abgesehen. Paris blieb in den Neunzigerjahren der wichtigste westliche Handelspartner des Irak.

Furcht vor einem Wegbrechen Saudi-Arabiens

Der 11. September 2001 erzeugte in den USA auch die Furcht vor einem Wegbrechen Saudi-Arabiens, aus dem die meisten Attentäter kamen, und belebte damit die alte Angst vor dem Versiegen des Öls wieder. Die US-Öllobby interessierte sich wieder für den - zuvor unterschätzten - Ölreichtum des Irak, den sie der französischen Total, der russischen Lukoil, den Italienern und den Chinesen überlassen hatte.

Paris roch den Braten - das heißt den "präventiven" Irakkrieg - rasch und mobilisierte jetzt im Unterschied zu 1991 vehement gegen einen US-Militäreinsatz. "Kein Land darf die Zukunft des Irak allein bestimmen", predigte der französische Außenminister Dominique de Villepin schon Anfang dieses Jahres.

Privatisierung der "Iraq National Oil Company" geplant

Und was die nächste, entscheidende Phase der Ölproduktion betrifft, planen US-Erdölstrategen bereits die Privatisierung der "Iraq National Oil Company" (Inoc), damit die großen Gesellschaften Zugriff auf die zweitwichtigsten Ölressourcen des Mittleren Ostens (nach Saudi-Arabien) erhalten.

Französische und Russische Ölfirmen fragen sich, ob ihre Konzerne auch nur einen kleinen Teil ihrer irakischen Pfründe (siehe Artikel unten) bewahren können. Das irakische Volk stellt die gleiche Frage - nicht mehr an böse Kolonialisten oder Diktatoren, sondern an seine Befreier. (Stefan Brändle aus Paris, Der Standard, Printausgabe, 22.04.2003)