Im Gesundheitswesen kommt es zu Engpässen, die das Wohl der Patienten gefährden können

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Alle Jahre wieder bricht über Schwedens Gesundheitswesen eine Naturkatastrophe herein. Ihr Name: Sommer. "Bald gehen tausende Angestellte im Gesundheitswesen in Urlaub" , warnt der Schwedische Rundfunk. "In den Polikliniken und Krankenhäusern überall im Lande bedeutet das verkürzte Öffnungszeiten und entschieden weniger Personal."

Dass eine sommerliche Erkrankung in Schweden mit weitaus höheren Risiken verbunden ist als anderswo, hat handfeste Gründe. Der Großteil der Arbeitnehmer hat das gewerkschaftlich verbriefte Recht, vier Urlaubswochen am Stück zu nehmen - und davon machen sonnenhungrige Schweden vorzugsweise im Sommer Gebrauch. Auch in gesellschaftlichen Schlüsselbereichen entstehen so regelmäßig Engpässe. Was dem Polizisten recht ist - zahlreiche Reviere verkürzen im Sommer die Öffnungszeiten oder schließen ganz -, ist auch dem Personal im Gesundheitswesen billig: So waren selbst namhafte Krankenhäuser in den vergangenen Jahren im Sommer derart schlecht besetzt, dass Ärzte vor Gefahren für das Leben der Patienten warnten.

Auch in diesem Jahr kämpft man um die Gunst von Aushilfskräften. Mit begrenztem Erfolg: So zieht es zahlreiche potenzielle Aushilfen eher nach Norwegen, das mit rund doppelt so hohen Gehältern winkt. Im Akademischen Krankenhaus Uppsala besteht akuter Mangel an Hebammen; im Göteborger Sahlgrenska Universitätskrankenhaus will man das Schlimmste mit Leiharbeitern verhindern und zum Teil per Telemedizin auf Hilfe aus Barcelona und Sydney zurückgreifen. In einigen ländlichen Gegenden sollen Polikliniken geschlossen werden.

Chronische Überlastung

Dass der allgemeine Patientenaufschrei bislang ausblieb, mag nicht nur daran liegen, dass ein mehrwöchiger Sommerurlaub als schwedisches Menschenrecht gesehen wird. Schwedens Kranke sind Warten gewohnt: Denn das Gesundheitswesen ist insgesamt chronisch überlastet.

Die im Jahr 2005 eingeführte sogenannte Pflegegarantie, wonach ein Patient nach spätestens 90 Tagen Wartezeit einen Termin beim Spezialisten bekommen soll und nach spätestens weiteren 90 Tagen ein Beschluss über die Behandlung zu fassen ist, wird vielfach nicht eingehalten. Bei der Zahl der Krankenhausbetten im Verhältnis zur Einwohnerzahl gehört Schweden unter vergleichbaren OECD-Ländern mittlerweile zu den Schlusslichtern.

In einem aktuellen Bericht warnt das Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen vor ernstzunehmenden Konsequenzen für die Patientensicherheit. Bei schweren Erkrankungen versucht so mancher Schwede, den Warteschlangen im Land zu entfliehen und sich in einem anderen EU-Land behandeln zu lassen. Für Sommertouristen in Schweden bleibt der Rat, nicht krank zu werden. (DER STANDARD, Printausgabe 23.6.2010)