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Antonio Maria Costa, Direktor des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, warnt eindringlich davor, dass das organisierte Verbrechen sich immer mehr Macht verschaffe.

Foto: APA/Roland Schlager

Gelinge es nicht, diese Marktkräfte zu brechen, sei der Weltfriede bedroht

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Wien - Antonio Maria Costa pflegt nicht gerade eine Wortwahl der übertriebenen Zurückhaltung. Doch womit der eloquente Italiener und Direktor des in Wien ansässigen UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) diesmal an die Weltöffentlichkeit geht, hört sich wahrlich dramatisch an: Das organisierte Verbrechen als globales Phänomen bedrohe den Weltfrieden. Das organisierte Verbrechen sei eine der größten wirtschaftlichen Mächte der Welt geworden und benutze Waffen, Gewalt und Schmiergeld, um Politiker, Wahlen und Macht zu kaufen.

Den Warnungen Costas liegt der neueste UNODC-Bericht zugrunde, dem zufolge jährlich rund 140.000 Menschen in Europa Opfer von Menschenhandel werden und zumeist sexuell ausgebeutet werden. Ihre Peiniger verdienen damit rund drei Milliarden Dollar (2,4 Milliarden Euro) pro Jahr. Für Drogenschmuggler ist dem Bericht zufolge Europa der lukrativste Markt für Heroin, während Russland das Land ist, in dem am meisten von der harten Droge konsumiert wird, nämlich 70 Tonnen jährlich.

Neben Waffen-, Menschen- und Drogenhandel mischen mafiöse Gruppierungen auch kräftig in der Umweltkriminalität mit: Krieg um Rohstoffe bedinge auch die Abholzung der Regenwälder und Ausrottung von Tierarten. Große Sorgen bereitet Costa die zunehmende Kooperation zwischen kriminellen Organisationen und Terroristen. So habe beispielsweise die baskische Separatistenorganisation Eta von der kolumbianischen Farc Kokain erhalten. Das Suchtgift wiederum sei bei der italienischen Camorra gegen Waffen und Sprengstoff eingetauscht worden.

Kriminelle Gruppen könnten nicht zerschlagen werden, indem Mitglieder festgenommen würden, betont Costa. Vielmehr müssten die "Marktkräfte" hinter den illegalen Geschäften unterbrochen werden. Nationale Antworten auf eine globale Plage seien kein angemessenes Mittel, sondern verschöben die Probleme nur von einem Land ins nächste.

Heroinroute durch Österreich

Österreich spielt im UNODC-Bericht in mehreren Bereichen eine tragende Rolle: Was Heroin betreffe, liege Österreich weiterhin auf der Hauptschmuggelroute von Afghanistan in die Hauptabnehmerländer Deutschland, Niederlande und Großbritannien. Und nach den Berechnungen der UNODC gehen heimischen Suchtgiftfahndern dabei rund 55 Tonnen Heroin pro Jahr durch die Lappen. So viel "Stoff" soll zumindest auf der sogenannten Balkan-Route auch über Österreich die Bestimmungsländer erreichen, ohne vorher entdeckt zu werden.

Beim Menschenhandel sei in Österreich ein neuer Trend von südamerikanischen Opfern erkennbar. In nahezu allen Fällen gehe es um sexuelle Ausbeutung, ausdrücklich werden auch Transgender aus Brasilien erwähnt.

Auf welche Bereiche sich die organisierte Kriminalität künftig konzentrieren wird, beschreibt auch ein Europol-Lagebericht. Groß im Kommen ist zum Beispiel Mehrwertsteuerbetrug und hier vor allem der länderübergreifende Handel mit Emissionszertifikaten.

100 Milliarden Steuerbetrug

Und das geht so: Jemand registriert sich national als Trader, erwirbt in einem anderen Land steuerfrei die in der Industrie heißbegehrten Zertifikate, geht damit anderswo an die Börse und kassiert dann die Mehrwertsteuer. Pro Jahr entstehe dadurch bereits ein Schaden von 100 Milliarden Euro, heißt es bei Europol.

Bei seinen Analysen hat das europäische Polizeiamt mit Sitz in Den Haag auch den Typus "Gewalt gegen die Gesellschaft" eingeführt. Dabei handelt es sich um Branding mit bekannten Kriminalitätsgruppen. Die Mafia verleiht quasi ihren Namen gegen Franchise-Gebühren. Dadurch entsteht ein loses Netzwerk, dessen Mitglieder global agieren können. Korruption auf hohem Level gehöre ebenso dazu wie Gewalt gegen Richter und Staatsanwälte. (DER STANDARD, Printausgabe 23.6.2010)