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Richard Lee, Rektor der Oaksterdam University

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Cannabis-Professorin Dale Clare im unieigenen Zuchtraum: "Zehntausende neue, nachhaltige Jobs"

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An der Oaksterdam University wird neben Rechtlichem, Grundzügen der BWL auch handfeste Züchtungskunde vermittelt.

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Im Cannabis-Bezirk von Oakland wirbt die Cannabis-Universität offensiv um neue Studenten.

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Gianni: "Diese Industrie könnte in der Zukunft richtig bedeutsam werden."

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Im dunklen Hinterzimmer des Café "Bulldog" in Oakland sitzen drei Mittzwanziger rund um einen der beiden engen Tische und lassen eine kleine, mit Marihuana gefüllte Pfeife kreisen. "Hey, keine Fotos hier", herrscht Salwa Ibrahim, die neuerdings Touristen durch den boomenden Kifferbezirk der kalifornischen Hafenstadt führt, ihr Grüppchen an: "Die Patienten sollen in Ruhe ihre Medizin konsumieren können."

Schenkt man den Meinungsforschern Glauben, könnten Cannabis-Aktivistin Ibrahim und ihresgleichen die eigentümliche Sprachregelung schon bald ad acta legen. Anfang November stimmen die Kalifornier über die Freigabe von Cannabis für Erwachsene ab. Kalifornien, der größte US-Bundesstaat, war 1913 der erste, in dem Cannabis per Gesetz verboten wurde. Nun rufen Befürworter der Legalisierung zur Reconquista.

Wo seit 1996 zu medizinischen Zwecken Haschisch und Marihuana geraucht werden darf, könnte bald schon ein milliardenschweres Cannabis-Business Marke "Oaksterdam" seinen Ausgang nehmen.

Medizinisches Cannabis mittels "Patient ID"

Schon heute wird nicht nur im Hinterzimmer des "Bulldog" an Joint und Bong gezogen. Eine halbe Million Kalifornier sind aktuell in Besitz einer so genannten Patient ID, mit der sie in hunderten so genannten "Dispensaries", ähnlich den Amsterdamer Coffeeshops, Marihuana und Haschisch in mannigfaltigen Stärke- und Qualitätsgraden kaufen können.

1.000 Patienten pro Tag

Gleich ums Eck vom "Bulldog" befindet sich die umsatzstärkste Cannabis-Abgabestelle Oaklands, ein kleiner Kiosk namens "Blue Sky". Vor der gläsernen Pforte fragt ein Türsteher die Kundschaft nach ihren Ausweisen. Mehr als 1.000 patients gehen hier Tag für Tag ein und aus.

Obwohl die Regelung ursprünglich vor allem für Krebs- und Aidskranke gedacht war, ist dafür heute lediglich ein ärztliches Attest nötig, das eines von acht Leiden, darunter Schlafschwierigkeiten und Rückenschmerzen, bescheinigt. In 13 anderen Staaten, vor allem an der US-Westküste, sowie in der Hauptstadt Washington geht man ähnlich mit so genanntem medizinischem Cannabis um. "Unser Ziel ist die komplette Legalisierung in den ganzen USA, damit nicht nur Kranke ohne Angst vor Strafe konsumieren können, sondern alle Erwachsenen", sagt Salwa Ibrahim.

Meinungsforscher sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Einer Ende Mai veröffentlichten Umfrage des Public Policy Institute of California zufolge sind derzeit 49 Prozent der Befragten für die international beispiellose Legalisierung, 48 Prozent sind dagegen. Bei den 18- bis 34-Jährigen sind es laut einer Survey USA-Umfrage vom April sogar 75 Prozent, die mit "Ja" stimmen wollen. 

It's the economy, stupid

Laut Experten kommt dieser Umschwung nicht von ungefähr, sondern ist eine direkte Folge des Budgetdefizits, das Kalifornien angestaut hat. Entsprechend offensiv propagiert das "Pro"-Lager die Besteuerung von Marihuana und Haschisch. Staatliche Schätzungen sprechen von mindestens 1,38 Milliarden Dollar an Gewerbesteuer, die Jahr für Jahr aus Kifferhand in Kaliforniens klammen Staatssäckel fließen könnten. Dazu kommen laut Beobachtern enorme Einsparungen, die sich aus dem Ende der Cannabis-Prohibition für den Justiz- und Polizeiapparat ergeben.

Im Gegensatz zu den beiden großen Parteien unterstützen die Gewerkschaften die Legalisierungskampagne schon jetzt. "Wir rechnen mit zehntausenden neuen und nachhaltigen Jobs, die so entstehen können", sagt Dale Clare im Gespräch mit derStandard.at. Clare ist Vizechefin der Oaksterdam University (OU), die maßgeblich hinter der Legalisierungskampagne steckt und seit drei Jahren an insgesamt 11.000 Menschen Diplome in angewandtem Cannabisanbau und -handel ausgestellt hat.

Legalisierungspionier Lee

OU-Gründer Richard Lee, 47, gilt als Pionier der US-Legalisierungskampagne. Der Ex-Aerosmith-Roadie sitzt seit einem Arbeitsunfall vor zwanzig Jahren im Rollstuhl. Er nutzt Marihuana bis heute als Schmerzmittel. Und will mit seiner Arbeit erreichen, "dass sich die Polizei wieder auf Gewalttäter konzentrieren kann, statt auf Cannabiskonsumenten".

Unsinn, meinen Kritiker wie John Lovell, der im Namen einer Polizistengewerkschaft Stimmung gegen die Legalisierung macht. "Was kommt als Nächstes, Kokain?" Studien, die den Anstieg von Drogenkonsum in Gebieten mit liberalen Gesetzen widerlegen, nimmt Lovell im Interview mit dem Radiosender NPR nicht ernst. "Immer wenn man den Erwerb eines Produkts einfacher macht, steigert das den Verkauf."

Schlüsselindustrie der Zukunft

Nicht dass in Oakland das viele stören würde. Tatsächlich betrachtet so mancher die Ausbildung zum Cannabisconnoisseur als Fuß in der Tür einer künftigen Schlüsselindustrie. Und die Studiengebühren an der OU - ein Semester kostet 650 Dollar - als Investition in eine vielversprechende Zukunft.

Gianni zum Beispiel. Der 21-Jährige, raspelkurzes Haar, das grasgrüne Poloshirt penibel in die beige Stoffhose gesteckt, sieht so gar nicht aus, wie man sich einen Drogenzüchter landläufig vorstellt. Seit Jänner besucht er regelmäßig Vorlesungen an der OU: "Ich habe zuhause in Puerto Rico im Fernsehen davon erfahren und erst nicht geglaubt, dass es so etwas wirklich gibt", erzählt er.

Jetzt hofft er auf ein "Ja" der Wähler am 2. November. "Kalifornien muss dem Rest des Landes zeigen, wie es geht. Diese Industrie könnte richtig bedeutsam werden." (flon/derStandard.at, 24.6.2010)