Wien - Chopin und Jazz? An sich ein Thema, das eher Gähnen hervorruft, wenn nicht gar Fluchtbedürfnis. Anniversarien klassischer Großmeister, so weiß man spätestens seit Mozarts Jahresregentschaft 2006, rufen auch in der Jazzszene immer mehr Trendsurfer auf den Plan - mit oft bescheidenen Resultaten.

Chopin und Peter Ponger - da liegen die Dinge freilich anders. Gilt Ponger doch seit Jahren als eine der stillen Größen des österreichischen Jazz. Auftritte sind rar, CD-Veröffentlichungen noch seltener. Immer aber sind es Statements, die aufhorchen lassen. So war es 1993 mit der virtuosen, frei improvisierten Trioplatte Skylines, so war es mit den hochsensiblen lyrischen Ton-Poemen von Watercolours, die Ponger 1999 in einer Kirche in Oslo aufnahm.

Nun also Chopin? Ja und nein. Er beschäftige sich seit drei Jahren intensiv mit Frédéric Chopin, insbesondere mit dessen Etüden, so Ponger, Bruder des früheren Falco-Produzenten Robert Ponger, zum Standard. Der Grund: "Ich erlebe Chopin als jemanden, der durch einen Kristall auf die Welt schaut und das Spektrum der Farben wunderbar kontrolliert. Ich selbst habe einen starken Bezug zu Düften und Farben, als Synästhet. Ich vermute, dass Chopin das auch war."

In seine Musik beziehe er, Ponger, sich freilich nicht auf konkrete Kompositionen des polnisch-französischen Tastenpoeten, vielmehr gehe es ihm um die Freilegung harmonischer Strukturen und deren Farbspektren, die er - über Eigenkompositionen - in sein Spiel einfließen lasse. La Tête pleine de Fleurs - New harmonic explorations dedicated to Frédéric Chopin war dann auch das Konzert am Freitag im Porgy & Bess überschrieben. Wobei Ponger das Bild der Blume als Zeichen für die "Autonomie des Schönen" setzte.

"Duft und Farben"

"Eine Blume ist auch schön, wenn man sie nicht sieht" , so Ponger. "Beim Spielen setze ich mich richtig in diese Blume hinein und lasse mich vom Duft und den Farben einhüllen. In diesem Moment ist der Unterschied zwischen Aktion und Rezeption aufgehoben ist, man verschwindet in dem, was man macht. Das heißt: Das Klavier spielt den Pianisten."

In der konzertanten Praxis sind diese Reisen ins atomare Innere der harmonischen Farbwelten indessen mitunter keine leichten Übungen, wie im Porgy & Bess zu vernehmen war. Peter Ponger spielte unverstärkt, um den Nuancenreichtum der Obertonstrukturen nicht der Lautstärke opfern zu müssen, gewann so einen natürlicheren, aber nicht unbedingt facettenreicheren Klavierklang.

Rhythmisch-melodische Patterns standen am Beginn, mehr Impuls denn Thema, kontinuierlich wiederholt und variiert, im weiteren Verlauf sukzessive entschleunigt und auf die harmonische Essenz reduziert, allem Beiwerk entkleidet. Ein ambivalentes Erlebnis. Da waren weite Bögen voll fragiler, individuell gesetzter Klänge, da waren repetitive Strukturen, die auf berückende Weise Sogwirkung entwickelten; da waren freilich auch Passagen, in denen weise Reduktion in Simplizität umschlug. Und da waren wiederholt doch etwas irritierende Anklänge an die Solopianistik Keith Jarretts zu vernehmen - so, als würde sich im Kopf immer wieder derselbe Schmetterling auf die zu erlauschende Blume setzen.

Entspannter, gelöster, fließender agierte Ponger im zweiten Set. Billy Joels Just The Way You Are und John Coltranes Giant Steps sahen sich in hörenswerter Weise dekonstruiert, ihr akkordisches Fundament freigelegt und in meditativer Kontemplation zum Leuchten gebracht. Da konnte man Töne hören, die tatsächlich zu atmen schienen. Fest steht: Peter Ponger ist einmal mehr in eigenen Sphären unterwegs. (Andreas Felber/DER STANDARD, Printausgabe, 21. 6. 2010)