Eine jüngst veröffentlichte Studie des IHS hat Vorteile der bedarfsorientierten Mindestsicherung zu Tage gefördert (vgl. Standard, 17. 6.). Sie zeigt, dass es im System der Mindestsicherung keine sogenannten Schwellenwert-Phänomene gibt, zu deutsch: Es verdient niemand weniger, wenn er mehr arbeitet. Außerdem zeigt sie, dass durch die sozialen Transfers eine substanzielle Verringerung der Armut erreicht wird. Die Kritik, das Sozialsystem würde ohnehin nur von einer in die andere Tasche umverteilen, ist also nicht haltbar.

Bemerkenswert ist auch die Schlussfolgerung der Studienautoren, Sachleistungen, insbesondere die kostenlose Kinderbetreuung wie derzeit in Wien, und aktive Arbeitsmarktmaßnahmen sollten ausgebaut werden. Das ist eine Aufforderung, umfassende öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, um den Menschen die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Die Behauptung, dass damit im Umverteilungssystem in Österreich alles zum Besten steht, kann man aus dieser Studie jedoch nicht herauslesen - dazu war sie nicht umfassend genug angelegt.

Sie untersucht nur die Arbeitseinkommen und Sozialleistungen - zu den größten Einnahmenquellen des Staates sagt sie gar nichts: Allein bei der Mehrwertsteuer bleiben ca. 30 Prozent des Steueraufkommens unberücksichtigt. Nach der Verteilungsstudie des Wifo zahlen die untersten 10 Prozent der Arbeitnehmer- und Pensionisten-Haushalte ca. 19 Prozent ihres Bruttoäquivalenzeinkommens an indirekten Steuern (14 Prozent an Mehrwertsteuer), während die obersten 10 Prozent nur mehr 11 Prozent ihres Einkommens für indirekte Steuern aufwenden müssen (8 Prozent an Mehrwertsteuer).

Selektive Wahrnehmung

Zudem wurden auf der Ausgabenseite Sachleistungen nicht berücksichtigt, obwohl diese gerade im Gesundheits- und Bildungsbereich besonders relevant sind. Die Aufgabenbereiche Bildung und Gesundheit machen mit 11 Prozent bzw. 16 Prozent der konsolidierten Staatsausgaben immerhin einen beträchtlichen Teil der staatlichen Aktivität aus.

Vor allem aber schweigt die Studie völlig zur Verteilung von Vermögenseinkommen. Während private Anlage- und Beratungsfirmen neue Rekorde bei den Millionären in Österreich verkünden, blenden offizielle Statistiken das Thema Reichtum konsequent aus.

Die IHS-Studie hat recht, wenn sie die hohe Belastung von Einkommen aus Arbeit kritisiert - die logische nächste Maßnahme wäre aber, jene Einkommen fair zu besteuern, die nicht durch Arbeit erzielt werden, wie etwa Spekulationsgewinne, und ein wichtiger Reformschritt dazu wäre die Erfassung dieser Reichtümer.

Denn Arbeitnehmer und Konsumenten haben ein Recht darauf zu wissen, wen sie retten, wenn die Finanzmärkte wieder einmal mit ihren Steuergeldern stabilisiert werden müssen. (Josef Zuckerstätter/DER STANDARD Printausgabe, 21.6.2010)