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Premier Erdogan vor den Särgen mit den toten Soldaten am Sonntag in Van.

Foto: Reuters

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Eskalation und Gebet:Der türkische Premier Tayyip Erdogan und der Chef der Streitkräfte, Ilker Basbug, kamen am Sonntag in die östliche Stadt Van, um die Särge mit den toten Soldaten abzuholen.

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Die türkische Armee und die kurdische PKK lieferten einander am Wochenende blutige Kämpfe wie seit Jahren nicht mehr. PKK-Anführer Abdullah Öcalan gab offenbar die Anweisung, in die Offensive zu gehen.

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Istanbul - Elf tote Soldaten, mindestens doppelt so viele getötete Kämpfer der kurdischen PKK, die Türkei erlebte am Samstag und Sonntag das blutigste Wochenende seit Jahren. Am frühen Samstagmorgen stürmten rund 250 kurdische Guerillakämpfer aus dem Irak und Iran kommend ein Militärcamp in der Nähe von Semdinli, einer Stadt im äußersten türkischen Südosten direkt an den Grenzen zu Irak und Iran.

Die PKK-Angreifer sollen laut der Armee zufolge mit schweren Waffen, darunter auch Raketenwerfern, ausgerüstet gewesen sein. Die Armee reagierte mit Luftangriffen auf PKK-Basen im Nordirak, in der Nacht von Samstag auf Sonntag überschritten dann auch Bodeneinheiten die Grenze zum Nordirak und verfolgten PKK Guerillakämpfer bis zu zehn Kilometer tief in den Irak hinein.

Der Angriff war der bisherige Höhepunkt einer Militäroffensive, die die PKK offenbar auf Anweisung ihres auf der Insel Imrali gefangenen Anführers Abdullah Öcalan Ende Mai startete. Ende Mai hatte Öcalan den Waffenstillstand der PKK offiziell für beendet erklärt, weil die Regierung aus seiner Sicht nicht zu Friedensverhandlungen bereit sei.

Tatsächlich war die im letzten Sommer von der Regierung Tay-yip Erdogans gestartete "Demokratieoffensive" mit dem Ziel einer politischen Lösung der Kurdenfrage bereits im Herbst wieder eingestellt worden. Die Erdogan-Regierung hatte geplant, PKKlern, die ihre Waffen niederlegen, eine straffreie Rückkehr aus dem Irak in die Türkei zu gestatten. Nachdem die erste Gruppe von der kurdischen DTP aber im Triumphzug durchs Land gefahren worden war, geriet Erdogan unter massive Kritik und stoppte bereits die nächste Gruppe. Im Herbst wurde dann noch die Kurdenpartei DTP verboten, was der politischen Initiative den Rest gab.

Krieg in den Westen tragen

Seit dem Frühjahr hat die PKK deshalb ihre Angriffe wieder aufgenommen und angekündigt, sie würde den Krieg nun auch in die Städte im Westen des Landes tragen. Ein erster spektakulärer Angriff auf eine Marinebasis am Mittelmeer ging in der türkischen Öffentlichkeit unter, weil am selben Tag israelische Soldaten das Gaza- Hilfsschiff "Mavi Marmara" enterten. Seit den Kämpfen an diesem Wochenende aber ist die Kurdenfrage wieder zum dominierenden Thema geworden.

Erdogan und sein Stellvertreter Cemil Çiçek reisten am Sonntagmorgen beide zu einer Trauerfeier nach Van, der größten Stadt in der umkämpften Region, wo die Särge der getöteten Soldaten in Flugzeuge verladen wurden. Unterdessen fordert die rechte Opposition in Ankara bereits die Wiedereinführung des Kriegsrechts in den grenznahen kurdischen Regionen. Vor neun Jahren waren justin dem Gebiet, in dem nun die schweren Kämpfe stattfanden, die letzten Kriegsrechtsbestimmungen aufgehoben worden. Nachdem es damals so schien, als sei der zu dem Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren andauernde Bürgerkrieg endlich vorbei, sieht jetzt alles nach einer Rückkehr des Krieges aus.

Die kulturellen Zugeständnisse, die die Regierung Erdogan in den letzten Jahren gegenüber der kurdischen Minderheit gemacht hat, blieben weit hinter den politischen Forderungen der Kurdenparteien zurück. Während die Kurden kulturelle und politische Autonomie im Südosten und eine Gleichsetzung von Kurden und Türken in der Verfassung fordern, gehen der Opposition bereits Erdogans Zugeständnisse zu weit. Auch die Stimmung in der Bevölkerung zwischen Kurden und Türken wird immer feindseliger. Erdogan verwendete gestern markige Worte und kündigte an, man werde jede Anstrengung unternehmen, um noch den letzten kurdischen Rebellen auszulöschen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2010)