Gylfi Magnússon ist seit Anfang 2009 isländischer Wirtschaftsminister. Zuvor war er Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität in Reykjavík und Journalist für die Tageszeitung "Morgunbladid".

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Andernfalls drohe die Regierung zu scheitern, sagte er im Gespräch mit Alexander Fanta.

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STANDARD: Warum will Island ausgerechnet jetzt, in Zeiten von Wirtschaftskrise und politischer Blockade, der EU beitreten?

Magnússon: Wir diskutieren eine mögliche EU-Mitgliedschaft bereits seit einem halben Jahrhundert. Bisher haben wir jedoch noch nie eine Mitgliedschaft beantragt, obwohl wir in vielen anderen europäischen Organisationen sind: der Nato, der Efta, dem EWR. Das gibt uns bereits einen Status als Quasi-Mitglied. Wir arbeiten auch intensiv mit unseren nordischen Nachbarstaaten zusammen, die fast alle in der EU sind. Bislang waren wir jedoch nur passive Empfänger von EU-Entscheidungen, ohne mitbestimmen zu können. Das ist unangenehm für uns, wie es für Norwegen und Liechtenstein unangenehm ist.

STANDARD: Welche Stolpersteine sehen Sie für Islands Weg in die Europäische Union?

Magnússon: Die Gemeinsame Fischereipolitik der EU ist sicher das umstrittenste Kapitel der Beitrittsverhandlungen. Wir haben viel dabei zu verlieren. Islands Fischereipolitik ist nämlich erfolgreicher als die der EU. Sie erfüllt ihre zwei wichtigsten Ziele: Wirtschaftlich effizient und ökologisch nachhaltig zu sein. Es wird schwer, innerhalb der EU etwas Besseres als unsere derzeitige Politik zu erreichen.

STANDARD: Großbritannien und die Niederlande haben angekündigt, den Beitritt Islands zu blockieren, solange Island seine Schulden aus der Icesave-Pleite nicht zurückgezahlt hat. Wie stehen die Verhandlungen, und wird es ein zweites Referendum dazu geben?

Magnússon: Es gab seit dem abschlägigen Votum im März keine offiziellen Verhandlungen mit London und Den Haag. Der Schaden, der durch dieses ungelöste Problem verursacht wird, ist groß. Es erschwert alle unsere Entscheidungen. Wir hoffen aber auf eine Einigung, wenn die Niederlande wieder eine Regierung haben. Ich hoffe, dass es kein weiteres Referendum gibt. Würden die Wähler noch einmal ablehnen, wären dass keine guten Neuigkeiten für unsere Volkswirtschaft. Ich weiß auch nicht, ob das unsere Regierung überleben würde. Es wäre eine Katastrophe, sowohl für unsere Regierung als auch für unsere Bewerbung als EU-Mitglied.

STANDARD: Was hat den Crash von Islands Banken 2008 ausgelöst?

Magnússon: Wir alle sind gescheitert: Die Regulierungsbehörde, die Gesetzgeber, die Bankmanager, die Anleger - einfach alle. Wir haben nicht aus den Lektionen anderer gelernt. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn uns dieses Desaster keine Lehre wäre. Das Fehlverhalten lag bei den Aufsichtsbehörden der EU-Staaten, und nun müssen die Menschen von Island für deren Schwächen bezahlen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2010)