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Begeisterte Unterstützer bei einer Wahlkampfrallye für den liberalen Präsidentschaftskandidaten Bronislaw Komorowski in Warschau. Auch in der Provinz hat er viele Anhänger.

Foto: AP/Keplicz

Die ostpolnischen Orte Chrzanow und Czyze stimmten bei der Präsidentenwahl 2005 rekordverdächtig ab - Ersterer für Kaczyñski, Letzterer für Tusk. Auch heuer zeigt sich in den Dörfern die Spaltung des Landes.

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Chrzanow, ein polnisches Dorf an der Grenze zur Ukraine. An der Ortseinfahrt steht ein unverputztes Gebäude. Davor sitzen zwei Betrunkene. Bürgermeister Czeslaw Jaworski legt die Stirn in Sorgenfalten: "Es wird immer schwieriger. Jetzt fahren unsere Jungbauern schon als Saisonarbeiter nach Deutschland und pflücken Erdbeeren oder Kirschen."

Der Schweiß rinnt ihm an den Schläfen entlang. Nicht nur die Hitze, auch das Wahlergebnis seiner Gemeinde vor fünf Jahren macht ihm zu schaffen: "94 Prozent für Kaczyñski!" Er ringt mit den Worten: "Die Leute hören zu viel Radio Maryja. Und das sind dann die Folgen." Der Pfarrer wähle die PiS, die Partei der Kaczyñskis, und der Schuldirektor sei gar Mitglied. "Ich fühle mich auch mitschuldig, denn ich habe das damals einfach geschehen lassen. Im Dorf waren fast alle gegen den EU-Beitritt, und Lech Kaczyñski war auch immer gegen die EU", erklärt Jaworski.

Insgesamt besteht die Gemeinde aus fünf Dörfern, die der Einfachheit halber durchnummeriert sind. Die Schulen wurden mit EU-Mitteln gebaut oder renoviert, auch die Straßen und Bürgersteige, die Feuerwehrremise und das Bürgermeisteramt.

Der Bauer Jan Taradys hat gerade ein paar Einkäufe erledigt. Ob am Sonntag wieder alle fast geschlossen für den PiS-Kandidaten stimmen würden? "Die Gebildeten wählen natürlich Bronislaw Komorowski von der Bürgerplattform", der liberalen Partei PO von Premier Donald Tusk. "Aber hier im Dorf haben alle nur acht Jahre Grundschule besucht. Außer den Lehrern und dem Gemeindevorsteher."

Er selbst sei auch nicht klüger als die anderen. Dennoch werde er heuer für die PO stimmen. "Das wird billiger. Wozu unsere Steuergelder für zwei Wahlgänge verschwenden, wenn sowieso klar ist, dass Komorowski die Stichwahl am Ende gewinnt?"

Anderthalb Kilometer weiter steht das Haus von Maria Zolynia. Gemeinsam mit dem Bruder, dem Sohn und der Schwiegertochter ist sie der PO beigetreten. Im Dorf würden manche hinter ihrem Rücken tuscheln, so als wären sie Verräter oder Abtrünnige. "Wir möchten gerne etwas verändern. Ein Kulturzentrum im Dorf wäre schön", sagt Zolynia.

Am Dorfausgang stehen 16-Jährige in Unterhemden und trinken Dosenbier. Nicht weit davon steht eine Bäuerin. Sie zuckt die Schultern: "Wir haben gute Kinder. Kultur brauchen wir hier nicht! Alle sind fleißig und arbeiten."

Ein Dorf für Komorowski

Im Vergleich zu Chrzanow ist Czyze, nahe der weißrussischen Grenze, ein Dorf wie aus dem Bilderbuch: eine breite Straße, an der rechts und links Holzhäuser mit gepflegten Vorgärten stehen. Bei der letzten Wahl stimmten die Menschen hier mit sagenhaften 83 Prozent für Donald Tusk, damals PO-Kandidat.

"Das ist damals schon groß durch die Presse gegangen", klagt Ortschef Jerzy Wasiluk. "Hier wohnen fast nur Weißrussen. Wir sind zwar treue Staatsbürger Polens, aber im ganzen Dorf gibt es nur ein oder zwei Katholiken." Die Wahl damals sei die zwischen dem Katholizismus Kaczyñskis und einem zukunftsorientierten Staat in der EU gewesen.

In der russisch-orthodoxen Kirche findet eine Trauermesse statt. "Wir sind eine Minderheit in Polen. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, gehen wir unter" , erklärt der Priester. Auch Tusk gehört einer Minderheit an, der kaschubischen Volksgruppe. Vielleicht stimmten die Leute deshalb für ihn, spekuliert er. Vielleicht liege es aber auch daran, dass er sich weniger ostentativ katholisch zeigte. Das sei schwer zu sagen, sagt Marek. Im Dorf spreche man nämlich kaum über Politik. (Gabriele Lesser aus Chrzanow/DER STANDARD, Printausgabe, 19.6.2010)