Kein Tag ohne Streiks und Proteste: In Italien wächst der massive Widerstand gegen das Sparpaket der Regierung. An diesem Samstag findet in Rom eine Protestkundgebung der Partito Democratico statt, am 23. Juni wollen tausende Bürgermeister in der Hauptstadt ihrem Unmut Luft machen, am 25. soll ein Generalstreik Italien lähmen, am 1. Juli legen die Richter die Arbeit nieder, deren Gehälter bis zu einem Drittel gekürzt werden sollen. Aufgebrachte Lehrer blockieren tausende Schlusskonferenzen und drohen mit einem Matura-Boykott.

Die Präsidenten aller Regionen lehnen das 25-Milliarden-Sparpaket einstimmig als "unzumutbar" ab, weil sie die Hälfte der Gesamtlasten tragen sollen. Silvio Berlusconis Parteikollege Roberto Formigoni, Präsident der bevölkerungsreichsten Region Lombardei, kritisierte die "einseitigen Sparpläne" als "Todesstoß für den Föderalismus. Angesichts der Protestflut und der Kritik aus dem eigenen Lager kündigte der genervte Regierungschef Änderungen am Sparpaket an, an dessen Gesamtumfang jedoch nicht gerüttelt werden dürfe. Auch beim "Maulkorberlass" , der Medien die Berichterstattung über gerichtliche Ermittlungen untersagt, sah sich Berlusconi zu einem Rückzieher gezwungen. Kammerpräsident Gianfranco Fini fordert Änderungen, Lega-Chef Umberto Bossi will ihn nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten verabschieden.

Berlusconi reagierte mit deutlicher Verärgerung. Eine Kraftprobe freilich wollte der Premier angesichts sinkender Popularitätswerte und wachsender Proteste nicht riskieren. Irritiert zeigte sich Berlusconi auch von der Aufforderung der OECD, das Gesetz den in Europa gültigen Standards von Pressefreiheit anzupassen.

Seinen Frust reagierte der Cavaliere auf der Vollversammlung der Kaufleutevereinigung ab: "Italien ist ein unregierbares Land, in dem die Souveränität nicht beim Volke, sondern bei den politisierten Richtern liegt. Ein Staat wie Italien, in dem die Telefongespräche von 7,5 Millionen Bürgern abgehört werden, ist keine wahre Demokratie." Der Präsident des Richterbundes, Luca Palamara, sah sich zum wiederholten Male genötigt, Berlusconis Umgang mit Zahlen zu korrigieren: die Zahl der von Gerichten abgehörten Personen belaufe sich auf 39.800. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 19.6.2010)