Bild nicht mehr verfügbar.

So groß sei das Synergiepotenzial, das man im Tourismus heben könnte, meint der Chef der Swarovski Kristallwelten, Andreas Braun.

Foto: APA/Schneider

Nur in wenigen Regionen sei Tourismus auch ökonomisch ein Hit, sagt der Hobbyphilosoph und Geschäftsführer der Swarovski Kristallwelten, Andreas Braun. Die Fragen stellte Günther Strobl.

***

STANDARD: Tourismus als Breitensport ist noch vergleichsweise jung. Kann daraus etwas Altes werden?

Braun: St. Wolfgang hatte im 14. Jahrhundert vermutlich mehr Touristen als heute, es gab damals einen extremen Wallfahrtstourismus. Es ist aber richtig, der Massentourismus, wie wir ihn heute kennen, ist jüngeren Datums. Da die Welt immer mehr zusammenwächst, besteht kein Grund, an der Fortsetzung dieses Trends zu zweifeln.

STANDARD: Dennoch hat man den Eindruck, der Höhepunkt des Zyklus sei zumindest bei uns erreicht.

Braun: Das ist differenziert zu sehen. In den Gunstlagen, die es in den Alpen noch gibt, im Tiroler Ötztal, im Paznaun, aber auch in einzelnen Regionen Salzburgs, ist die Entwicklung ungebrochen. Anderswo sind wir schon hart an der Grenze. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat der Tourismus in vielen Gebieten der Alpen scheinbar eine sehr wichtige Funktion.

STANDARD: Wieso nur scheinbar?

Braun: Weil bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung, wenn man das auf die einzelnen Leistungsträger herunterbricht, es nicht so gut ausschaut. Der Verschleiß an Ressourcen ist enorm. Einzelne Tourismusprojekte werden durch Verkauf von Grundstücken in besten Lagen finanziert, weil es anders nicht geht. Häufige Folge: Zweit- und Ferienwohnungen schießen aus dem Boden - und damit eine Vielzahl an Problemen.

STANDARD: Was müsste geschehen?

Braun: Das Tourismusgeschäft ist nur in wenigen Spitzendestinationen auch betriebswirtschaftlich ein großer Erfolg. Anderswo müssten längst Anreize zum Marktaustritt für Hoteliers überlegt werden. Man sollte auch nachdenken, wie außerhalb des Tourismus Jobs geschaffen werden können. Es wäre beispielsweise zu prüfen, welche Gewerbe- oder Industriebetriebe man ansiedeln könnte, die mit dem Tourismus kompatibel sind.

STANDARD: Um nicht nur von urlaubenden Gästen abhängig zu sein?

Braun: Genau. In vielen Gegenden Österreichs haben wir ein zu großes, undifferenziertes Angebot. Wenn ein konventionelles Viersternehaus von allem ein wenig anbietet, ist das mit hohen Kosten verbunden. Weil das Angebot austauschbar ist, kann der Hotelier nur moderate Preise durchsetzen. A lá longue kommt so kein befriedigendes Ergebnis zustande.

STANDARD: Wieviel Tourismus verträgt ein Land, eine Region?

Braun: In Österreich haben wir gut 32 Millionen Gäste. Das ist, gemessen an der Einwohnerzahl, enorm. Allein in Tirol sind es gut neun Millionen; das hat Griechenland-Dimension. Wenn man da nicht aufpasst, gibt es Akzeptanzprobleme. Wird die Bevölkerung einbezogen, ist es möglich, ein regionales Wohlfahrtsglück für Einheimische und Gäste zu schaffen.

STANDARD: Wieviel Inszenierung braucht der Tourismus?

Braun: Tourismus war immer Inszenierung, Landschaftsmalereien oder Fotografien von früher zeigen das. Ohne Inszenierung geht es auch jetzt nicht. Der Gast erwartet eine perfekte Gesamtleistung. Faktum ist aber auch: je mehr jemand reistdesto mehr begegnet er oder sie Gleichem.

STANDARD: Deswegen der Retrotrend, zurück zum Ursprung?

Braun: Auch, aber nicht nur. Einerseits gibt es vermehrt die Sehnsucht, eine echte Wiese barfuss zu queren und das Gras zu spüren. Möglicherweise gibt es sogar Bereitschaft, dafür zu zahlen. Andererseits gibt es den Wunsch nach künstlichen Welten auf engstem Raum. Extrembeispiel ist Las Vegas: Dort kann man abends am Markusplatz in Venedig einen Kaffee trinken, nach links abbiegen und schon ist man in New York.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Swarovski Kristallwelten in dem Reigen an Inszenierungen?

Braun: Unser Ansatz war, die Kristallmystik, die jenseits der materiellen Produkte im Unternehmensgegenstand schlummert, zu nützen. Das haben wir mit der Darstellung unserer Firmenleistung und dem Verkauf von Waren, die wir erzeugen, kombiniert. Das Konzept ist touristisch erfolgreich, weil es einen Unikatscharakter hat. Jedem, der sich darauf einlässt, bieten wir eine Verzauberung auf Zeit.

STANDARD: Grundleistungen werden immer mehr im billigeren Ausland erstellt, auch bei Swarovski und uns bleibt die Inszenierung?

Braun: In der Wirtschaft kann man generell beobachten, dass Unternehmen infolge des Zusammenrückens der Welt mehr und mehr zu Assemblierern, zu Logistikern der Leistungen werden. Offensichtlich sind die Inder von ihrer Disposition her begnadete Mathematiker. Es wird nicht nur aufgrund der niedrigeren Lohnkosten ausgelagert, sondern auch aufgrund der dort anzutreffenden speziellen Fähigkeiten.

STANDARD: Im Wort Tourismus steckt "auf Tour" - sprich unterwegs sein. Nun wird gerade getrommelt, bleibt zuhause, fahrt nicht weg.

Braun:  Das ist ein Widerspruch. Weltweite touristische Mobilität kommt allen zugute. Andererseits muss man sehen, dass Österreich nie so eine Inlandsurlaubskultur hatte wie etwa die Schweiz. Der Wiener hat zwar eine gewisse Affinität zu Kärnten und Steiermark, ist im Sommer aber eher in Jesolo daheim. Und die Tiroler haben den Gardasee quasi in ihr Weltmeer umfunktioniert. So ist es irgendwie verständlich, wenn die Tourismuswerbung auf das Gute hinweist, das so nah liegt.

STANDARD: In Österreich haben wir gut 450 Tourismusverbände, neun Landestourismusorganisationen und die Österreich Werbung. Ginge es nicht effizienter?

Braun: Der Neid ist ein Luder. Der Nachbar ist dem Nachbar suspekt, das ist so. Doch trotz all dieser Vorbehalte bringt die Vernunft manchmal etwas weiter.

STANDARD: Oder der Leidensdruck?

Braun: Eher wohl Hölderlin: "Wo Gefahr droht, wächst das Rettende auch". Das Synergiepotenzial, das man heben könnte, ist enorm.

STANDARD:  In Tirol hat man die Zusammenlegung von Tourismusverbänden verordnet.

Braun: Das ist nur die zweitbeste Lösung. Nur wer selbst einen Nutzen spürt, wird zufrieden sein und mitziehen. Viele Private sind auf dem richtigen Weg. Wo sich noch zu wenig bewegt ist in den Gebietskörperschaften, in den Tälern. Eine bessere Vernetzung würde sehr viel bringen.  (Langfassung; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20.6.2010)