Schon seit den eigenen Anfängen pflegt man bei Ubuntu ein äußerst inniges Verhältnis zum GNOME-Projekt, kein Wunder liefert dieses doch den Desktop - samt zahlreichen der zentralen Anwendungen - für die Distribution. Ein Verhältnis, das in den letzten Monaten aber zunehmend einer Belastungsprobe unterzogen wurde, so manche der aktuellen Entscheidungen - und Vorgehensweisen - des Ubuntu-Finanziers Canonical stoßen bei anderen Mitgliedern des GNOME-Projekts auf wenig Begeisterung - oder gar offene Verärgerung.
Unkordinierte Umbauten
Vor allem die zunehmenden Alleingänge der Distribution bei der Desktop-Entwicklung und die mangelhafte Kommunikation mit dem Upstream-Projekt werden dabei mehr oder weniger offen kritisiert. So hat man bei Ubuntu für die aktuelle Release 10.04 einige Modifikationen an zentralen Desktop-Komponenten vorgenommen sowie vollkommen neue Ansätze wie das MeMenu oder die Application Indicators integriert, ohne das Gros dieses Neuerungen vorab mit dem GNOME-Projekt zu koordinieren - wie es etwa Fedora und openSUSE mittlerweile recht durchgängig machen. So bekam man denn auch bei Ubuntu unlängst die Rechnung für dieses Kommunikationsdefizit präsentiert: Der Vorschlag der Aufnahme der Application Indicators für GNOME 3.0 wurde vom Desktop-Projekt abgelehnt, weder würden diese zur festgelegten Richtung mit der GNOME Shell passen, noch nutze auch nur eine Desktop-Komponente von Haus aus den Ubuntu-Ansatz. Eine Entscheidung, die für die Distribution vor allem mehr Arbeit bedeutet, muss man die betroffenen Komponenten doch selbst an die eigene Lösung anpassen und die entsprechenden Modifikationen separat weiterpflegen.
Aneinander vorbei
Dabei sind die Application Indicators eigentlich noch ein positives Beispiel, hat man hier doch zumindest - wenn auch spät - versucht eine Diskussion mit externen EntwicklerInnen zu starten, bei anderen aktuell von Ubuntu vorangetriebenen Modifikationen an der User Experience des Desktops sucht man dieses Engagement bislang vergeblich. Dies reicht von den zahlreichen Änderungen am GNOME Panel - und den dort enthaltenen Anwendungen - bis zu kommenden Neuerungen, wie den von Ubuntu-Gründer Mark Shuttleworth vor einigen Monaten skizzierten Window Indicators. Unklar ist dabei vor allem auch, wie all das mit dem bereits im Herbst kommenden GNOME3 zusammenpassen soll, das ja mit der GNOME Shell selbst zentrale Umbauten an der User Experience bringen soll - an denen Ubuntu sich wiederum praktisch gar nicht beteiligt.
Prinzipielles Interesse
Immerhin hat sich Mark Shuttleworth erst unlängst dazu bekannt "sehr interessiert" an der GNOME Shell zu sein, auch wenn dies natürlich noch keine fixe Zusage für deren Aufnahme darstellt, die zugehörige Entscheidung will man ja erst in einigen Monaten treffen. Das für Oktober geplante Ubuntu 10.10 soll zwischenzeitlich einmal mehr GNOME 2.x nutzen, was zwar aus der Perspektive einer konservativen Herangehensweise an die Einführung großer Änderungen durchaus nachvollziehbar ist, in der konkreten Umsetzung aber weitere Stolpersteine birgt - und prompt auch den nächsten Streit auslöste.
GTK+3
Denn wie nun bekannt wurde, hat man sich bei Ubuntu nun auch dazu entschlossen, die parallel zu GNOME 3.0 vorgesehene, neue Generation des der Softwaresammlung zugrundeliegenden grafischen Toolkits GTK+ nicht auf der Live-CD von "Maverick Meerkat" mitzuliefern. Da GTK+ 3.0 aber einige neue Funktionen und Umbauten am Bestehenden bietet, bedeutet dies, dass die GNOME-AnwendungsentwicklerInnen zwei verschiedene Versionen ihrer Software parallel pflegen müssen, so sie denn in Ubuntu 10.10 aufgenommen werden wollen. Dass die Ubuntu-Entscheidung nicht direkt kommuniziert wurde, sondern überhaupt nur über Dritte (die dieses Wissen selbst erst im Chat mit Canonical-EntwicklerInnen erlangt haben) ihren Weg auf die GNOME-Entwicklungs-Mailing-Liste fand, trägt dabei wohl auch nicht unbedingt positiv zur Stimmung bei.
Verärgerung
So meldet sich denn in der folgenden Diskussion einer der zentralen GNOME-Entwickler, der bei Red Hat beschäftigte Matthias Clasen, mit recht unüberhörbarer Verärgerung zu Wort: Ubuntu solle sich doch endlich offen dazu bekennen, dass man die gesamte GNOME3-Arbeit anderen überlasse und lieber am eigenen "Projekt Ayatana" und dem Netbook-Interface Unity herumbastle, so der GTK+-Entwickler und Angehörige des Release Teams des Desktops. Bei Ubuntu selbst verweist man im Laufe der Diskussion auf recht praktikable Gründe für den Verzicht auf GTK+3, zwar lasse sich dies parallel zu GTK+2 installieren - wodurch die Kompatibilität mit noch nicht fertig auf die neue Version portierten Anwendungen wie OpenOffice.org oder Firefox gewährleistet wäre - für eine solche Doppelauslieferung fehle auf den eigenen Installationsmedien aber schlicht der Platz. Eine Argumentation für die Clasen allerdings nur Spott übrig hat, er würde solche Aussagen ernster nehmen, würden sie nicht von einer Distribution kommen, die durch die Verwendung von desktop-couch (das aktuelle lokale Backend für die Ubuntu-One-Synchronisierung und den Microblogging-Client Gwibber, Anm.) alleine mehr als 60 Mbyte für die Abhängigkeiten der Programmiersprache Erlang verschwendet.
Hintergrund
Hinter den aktuellen, recht konkreten Konflikten steht allerdings auch ein grundlegendes Problem, und zwar die immer stärkere Dominanz von Ubuntu in der öffentlichen Wahrnehmung des Linux-Desktops. Ubuntu erntet hier oft Lorbeeren für Neuerungen, zu denen man selbst gar nichts beigetragen hat. Eine Kritik, die in den letzten Monaten vor allem aus der Fedora-Welt immer wieder mal zu vernehmen war, immerhin investiert Red Hat noch immer erheblich mehr Ressourcen in die GNOME-Entwicklung als Canonical. Bei anderen Unternehmen hat man hingegen aufgrund dieses Umstands bereits frustriert das Handtuch geworfen. Denn auch wenn man das offiziell natürlich dementiert, unter der Hand war aus Novell-internen Kreisen immer wieder zu hören, dass die massive Reduktion der eigenen Desktop-Bestrebungen - etwa im Vergleich zu SUSE-Linux-Enterprise-Desktop-10-Zeiten - auch in der Ubuntu-Dominanz begründet ist. Über Jahre habe man hier einen großen Teil der Arbeit gemacht, während Ubuntu mit unfairen Startvoraussetzungen - dem Sponsoring durch Softwaremilliardärd und Ubuntu-Gründer Mark Shuttleworth - die Linux-Desktops erobert habe, so die ernüchterte Erkenntnis. Aktuell konzentriert man sich bei Novell entsprechend auch vor allem auf andere Wege, das vor allem auf Netbooks ausgelegte MeeGo, das allerdings auch einen wichtigen Teil von GNOME-Technologien nutzt.
Alles wird gut
Eine wirklich langfristige Beschädigung des Verhältnisses zwischen GNOME und Ubuntu ist aus all diesen Reibereien freilich trotzdem nicht zu erwarten, immerhin ist eine gemeinsame Ausrichtung langfristig für alle Beteiligten von Vorteil. An Ubuntu liegt es dabei sich künftig aktiver in das Upstream-Projekt einzubringen und die eigenen Entwicklung dort frühzeitig zur Diskussion zu stellen, anstatt weitere Alleingänge zu bestreiten. Und die anderen Distributionen müssen wohl lernen mit der überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit für Ubuntu zu leben lernen - oder einfach auch ein Desktop-Linux abzuliefern, das es EinsteigerInnen noch einfacher macht in die Open-Source-Welt zu wechseln, als es Ubuntu jetzt bereits tut. Mark Shuttleworth selbst scheint jedenfalls von einer Beilegung des Konflikts überzeugt, immerhin arbeiten bei beiden Projekten "gute Leute", wie er sich in einem aktuellen Interview mit ubuntu-user.de überzeugt zeigt. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 18.06.10)