Schildkrötenkino

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Der ORF befindet sich zurzeit im Fußball-Urlaub. Wer sich im Einser dreimal neunzig Minuten lang taubtröten hat lassen, ist anschließend offenbar nicht mehr in der Lage, einer Diskussion im Zweier zu folgen. Wozu also ein "Im Zentrum" oder einen "Club 2" ansetzen, wenn das Einheitssummen der Vuvuzelas die Gehörgänge verstopft hat!

Stattdessen hat die große Stunde der Heimatkomödien geschlagen, oder aber es werden brandaktuelle Dokumentationen wie jene über "Das letzte Schlachtschiff" des Kaisers eingeschoben, dessen tragischer Untergang vom 10. Juni 1918 am Mittwoch dringend auf dem Club 2-Sendeplatz dokumentiert werden musste.

Vorher ging es sowohl im Privaten als auch im Öffentlich-Rechtlichen melodramatisch zu: Der ORF sorgte mit Zeitlupenszenen von Auslandseinsätzen des Bundesheers für Ergriffenheit, auf ATV rührte Alfons Haider mit einem Heiratsangebot an Arigona ("Aus Liebe!" ) die Herzen der Zuseher.

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Bleibt als Alternative das Internet, wo Youtube neuerdings mit Avantgarde-Filmkunst aus dem Tierreich aufwartet: Eine Meeresschildkröte entdeckte angeblich die einem niederländischen Segler auf Aruba verlorengegangene Unterwasserkamera. Die Tiefseefilmkünstlerin setzt die Kamera in Betrieb, filmt sich selbst beim Schwimmen, hält schnaufend und glucksend ihren braun-grün gesprenkelten Panzer ins Bild und schickt die digitale Flaschenpost weiter nach Key West, wo ein Mitarbeiter der Küstenwache die Kamera an Land fischt und die Welt an seinem sensationellen Fund teilhaben lässt. Das putzige Tierchen, das noch der Namensgebung durch die Online-Community harrt, weiß indes noch nichts von seinem Ruhm. (Isabella Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2010)

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