Vorsicht Vorurteil: Wer Forschung zu Geld macht, muss nicht unbedingt böse sein, meint der Historiker und Soziologe Steven Shapin nach seinen Recherchen in kalifornischen Laboratorien.

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Der Harvard-Professor überraschte kürzlich in Wien mit seinen Berichten von der vordersten Forschungsfront.

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Rätselfrage: Was hat Steven Shapin mit dem österreichischen Volk gemeinsam? Die Antwort ist, zugegeben, nicht ganz trivial: Beide gewannen den zurzeit mit 150.000 Euro dotierten Erasmuspreis. Die renommierte Auszeichnung wird alljährlich von der niederländischen Stiftung Praemium Erasmianum "an Personen oder Institutionen verliehen, die einen außerordentlich wichtigen Beitrag im kulturellen, sozialen oder sozialwissenschaftlichen Bereich geleistet haben".

Das österreichische Volk war 1958 der erste Preisträger und wurde damals - man kann es sich kaum mehr vorstellen - für seine Verdienste um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Osten gewürdigt. Der US-Wissenschaftshistoriker Steven Shapin gewann den Preis 2005 gemeinsam mit seinem Kollegen Simon Schaffer für ihre bahnbrechende Studie Leviathan and the Air-Pump (1985). Damit revolutionierten die beiden auf einem Schlag das Verständnis der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts sowie die Aufspaltung in Natur- und Sozialwissenschaften.

Shapin, der seit sechs Jahren an der Harvard University lehrt, beschäftigt sich in seinen in über ein Dutzend Sprachen übersetzten Büchern aber nicht nur mit vergangenen Zeiten. In seiner letzten großen Studie The Scientific Life (2008) gibt der vielfach ausgezeichnete Auch-Soziologe faszinierende Einblicke in die Forschung der Gegenwart und konkret: was es heißt, US-amerikanischer Forscherunternehmer zu sein.

Worauf es dabei ankommt, darüber berichtete Shapin letzte Woche auf der internationalen Tagung "Risky Entanglements?" (also "Riskante Verflechtungen?"), die vom Institut für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien (siehe diesen Artikel) organisiert worden war. Und sowohl bei seinem Vortrag wie auch im Gespräch mit dem STANDARD räumte Shapin mit einigen gängigen Vorteilen auf.

"Wir gehen davon aus, dass sich diese Wissenschaftsentrepreneure wie Craig Venter, die sich dem Markt ausliefern und Profit machen wollen, ganz anders verhalten als rein akademische Forscher im Elfenbeinturm", so der undogmatische Linke, "und dass es moralisch böse sein muss, mit Forschung Geld zu machen."

Kapitalisten als Altruisten

Bei seinen Recherchen an der vordersten Forschungsfront hat Shapin indes einige - zumal für soziologische Diffenzierungstheorien - provokante Entdeckungen gemacht: Die scheinbar nur von Profitgier getriebenen Wissenschafter seien in Wahrheit oft Altruisten und Utopisten, denen es bei ihren Forschungen auch um die Verbesserung der Welt gehe.

Auch von einer "Entpersönlichung" sei bei der Organisation der avanciertesten Laboratorien der Gegenwart keine Spur, ganz im Gegenteil: "Gefragt sind bei modernen Forscher-Entrepreneuren wie Craig Venter vormoderne Werte wie Glaubwürdigkeit und Charisma", so Shapin.

Aber auch von seinen Studenten in Harvard weiß Shapin Überraschendes zu berichten: Früher einmal war klar, dass es nach der teuren Ausbildung an der elitären Privat-Uni ans schnelle Geldverdienen gehen würde. "Heuer ist es so, dass von den frisch Graduierten rund ein Fünftel bei ,Teach for America' mitmacht, um benachteiligte Kinder zu unterrichten." Was Shapin selbstredend auch ziemlich gut findet. (Klaus Taschwer /DER STANDARD, Printausgabe, 16.06.2010)