Arigona Zogaj ist zum Spielball einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden. Man muss nicht mit Paragrafen herumwerfen - wer Arigona Zogaj im Fernsehen sieht, hat eine Österreicherin vor sich. Arigona Zogaj ist 18 und lebt seit acht Jahren in Österreich; sie spricht oberösterreichischen Dialekt, geht ins Gymnasium, spricht besser Deutsch und hat weniger (nämlich keine) Vorstrafen als so mancher Parlamentsabgeordnete. An sich sollte kein vernünftiger Mensch auf die Idee kommen, Arigona Zogaj ins Ausland - und das ist der Kosovo für Arigona Zogaj - abzuschieben.

Juristisch ist die Sache wohl vergleichsweise einfach. Im Kosovo droht im Allgemeinen seit Jahren niemandem mehr Verfolgung, Asylgründe liegen daher wohl kaum vor. Was aber in der Diskussion zugunsten einer Abschiebung ins Treffen geführt wird - der negative Ausgang des Asylverfahrens sei abzusehen gewesen, die Ausweisung nur durch unzählige Rechtsmittel immer weiter hinausgezögert worden -, mag eine gegenüber einem Erwachsenen zulässige Argumentation sein. Arigona Zogaj jedoch ist als Kind von ihren Eltern nach Österreich gebracht worden. An der Art der Verfahrensführung und der Verfahrensdauer mögen viele Schuld tragen - vielleicht der Vater, vielleicht die Mutter, vielleicht ein Berater, vielleicht die Behörden - ganz sicher aber nicht die minderjährige Arigona.

Es stimmt: Viele andere stehen nicht im Licht der Öffentlichkeit, und es ergeht ihnen ebenso wie Arigona, täglich werden Abschiebungen aus Österreich durchgeführt, und sie sind oft ebenso sinnlos wie hier. Gerade deshalb ist der Fall Zogaj wichtig. Er ist Symbol für eine unmenschliche Fremdenpolitik, wie sie seit bald 30 Jahren von Österreich praktiziert wird. Doch die Bevölkerung steht - wie regionale Bürgerinitiativen zeigen - nicht mehr hinter diesem populistischen Politzynismus. Daher ist es wichtig, dass der Fall Zogaj von der Zivilgesellschaft gewonnen wird. Juristisch sollte das auch klar sein: Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention gibt jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein behördlicher Eingriff in dieses Recht ist nur zulässig, soweit er eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Keiner von diesen Eingriffsgründen liegt im Fall Arigona Zogaj vor. Arigona Zogaj abzuschieben wäre ein menschliches, menschenrechtliches und gesellschaftliches Desaster. (Oliver Scheiber/DER STANDARD, Printausgabe, 16. Juni 2010)