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Wolfgang Lutz will das Preisgeld in Forschung über Bildung stecken.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Früh übt sich, was ein Wittgensteinpreisträger werden will. Wolfgang Lutz, der gestern Österreichs wichtigste Wissenschaftsauszeichnung zugesprochen erhielt, wusste jedenfalls bereits mit 15, dass er einmal Bevölkerungswissenschafter werden will. Lutz las damals auf Anraten seines Vaters das Buch Die Grenzen des Wachstums, in dem der Club of Rome düstere Szenarien der Zukunft zeichnete - nicht zuletzt im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung.

Das nötige wissenschaftliche Handwerkszeug dafür holte sich der heute 53-Jährige in den USA, denn in Österreich war die Demografie bis vor 25 Jahren quasi inexistent. Dass Wien heute ein internationales Zentrum in diesem Fach ist, verdankt sich vor allem Lutz‘ Forschungsarbeiten, die in Topjournalen wie Science und Nature veröffentlicht wurden.

Mit dem Preisgeld von 1,5 Millionen, das wieder in die Forschung zu stecken ist, plant Lutz die Gründung eines "Forschungszentrums für internationales Humankapital. Dieses soll von der Akademie der Wissenschaften und der WU in enger Kooperation mit dem Iiasa getragen werden, jenen drei Institutionen, an denen Lutz auch selbst tätig ist.

Je drei Starterinnen und Starter

Neben dem Wittgenstein-Preis wurden sechs Nachwuchsforscher mit dem START-Preis ausgezeichnet - und zwar erstmals gleich viele Frauen wie Männer. Die bis zu 1,2 Millionen Euro, die in den nächsten sechs Jahren in Forschung zu stecken sind, gingen an folgende vielversprechende Talente: Julius Brennecke vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW in Wien, Barbara Horejs, vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) in Wien, Barbara Kraus vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck, Melanie Malzahn vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, Florian Schreck vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW sowie Bojan Zagrovic von den Max F. Perutz Laboratories in Wien. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 15. 6. 2010)

--> Die START-PreisträgerInnen

Die START-Preise

Preisträger Julius Brennecke (geb. am 26. September 1975 in München) vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien befasst sich mit der sogenannten piRNA. RNA-Moleküle sind ähnlich aufgebaut wie die Erbsubstanz (DNA) und erfüllen wichtige Übersetzungs- und Steuerungsaufgaben in der Zelle. piRNA spielt in Keimzellen eine grundlegende Rolle bei der Unterdrückung von potenziell schädlichen Abschnitten der DNA. Diese sogenannten Transposons gelten als genetische Parasiten, die sich zu vermehren versuchen und dabei Schäden im Genom verursachen - was wiederum der sogenannte piRNA-Pathway als genomisches Immunsystem zu verhindern versucht. Bisher sind die Mechanismen allerdings nur ungenügend erforscht.

"Sesshafte bis protourbane Gesellschaften in Westanatolien" stehen im Zentrum der Forschungen von Barbara Horejs (geb. am 5. Februar 1976 in Wien) vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI). Die Wissenschafterin geht dabei weit in die Vergangenheit zurück, so stehen die Periode der ersten Sesshaftigkeit der Jungsteinzeit im siebenten Jahrtausend vor Christus sowie die ersten Vorstufen von Städten im vierten und dritten Jahrtausend von Christus im Fokus ihrer Arbeit. Horejs wird unter anderem der Frage nachgehen, inwieweit Westanatolien in der heutigen Türkei eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen Ost und West in zentralen Fragen zivilisatorischer und kultureller Entwicklungen gespielt hat.

Barbara Kraus (geb. am 26. Dezember 1975 in Innsbruck) vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck hat sich dem Gebiet der Quanteninformationstheorie (QIT) verschrieben. Dieses junge Forschungsgebiet versucht die klassische Informationstheorie mit der Quantenphysik zu vereinen. Ziel ist nicht zuletzt die Entwicklung des bisher nur in Ansätzen existierenden Quantencomputers, der jedenfalls bestimmte Aufgaben wesentlich schneller lösen soll, als herkömmliche Rechner. Erste praktische Einsätze der QIT ist die Quantenkryptographie, also der Einsatz der teils seltsam anmutenden Quanteneigenschaften zur Verschlüsselung von Daten.

Eine "Gesamtedition der tocharischen Handschriften" möchte Melanie Malzahn (geb. am 15. Juni 1973 in Hamburg) vom Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien mit ihrem START-Preis ausarbeiten. Das ausgestorbene Tocharisch gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und war eine der zahlreichen Sprache entlang der sogenannten Seidenstraße. Tocharisch hatte mit der Ausbreitung des Buddhismus in der Mitte des ersten Jahrtausends nach Christus seine Hochblüte. Texte sind teilweise gut erhalten, aber nur in Archiven und Museen zugänglich.

Florian Schreck (geb. am 15. Juni 1972 in Konstanz, Deutschland) vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW in Innsbruck gelang erst jüngst die erste Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats (BEC) mit Strontium. Im Zustand des BEC geben Teilchen gleichsam ihre Identität auf und beginnen im Gleichschritt zu funktionieren. So können unter anderem Quantenphänomene, die an einzelnen Teilchen kaum zu erforschen sind, sichtbar gemacht werden. Strontium gilt als möglicher Kandidat für die Weiterentwicklung von Quantencomputern.

Mit der Wechselwirkung zwischen Eiweißmolekülen (Proteinen) befasst sich Bojan Zagrovic (geb. am 11. August 1974 in Zagreb, Kroatien) von den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien. Proteine sind an fast allen biologischen Prozessen beteiligt, nicht zuletzt sind sie die unmittelbaren Genprodukte. Zagrovics Forschungen befassen sich etwa mit den molekularen Bindungsstellen zwischen Proteinen oder - vereinfacht gesagt - wie zwei passende Moleküle einander in der Vielfalt einer Zelle oder eines Organismus finden können. (APA)