Das "Urlaubsparadies" an der Ägäis steckt nicht nur in einer ökonomischen, sondern auch in einer ökologischen und moralischen Krise. - Aufzeichnungen von einer Forschungsreise. 

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Vor kurzem bin ich von Filmaufnahmen aus Griechenland zurückgekehrt. Gemeinsam mit dem WDR drehten wir zwei Wochen lang an einer Folge für die Fernsehserie Bedrohte Paradiese. Die Impressionen, die ich mitgebracht habe, sind leider ausgesprochen düster.

Nun bin ich zwar einerseits strikt dagegen, in den Chor der Boulevard-Journalisten einzustimmen und "die Griechen" pauschal zu verteufeln. Denn die rund zwei Millionen Menschen, die dort unter der Armutsgrenze leben müssen, sind mit ziemlicher Sicherheit nicht die Verursacher des griechischen Finanzdesasters.

Fakt ist aber andererseits, dass die Defizite der griechischen Gesellschaft für den unvoreingenommenen Betrachter so augenfällig sind, dass es fast weh tut: Korruption und Bestechung sind in weiten Teilen des Landes Bestandteil der alltäglichen Normalität. Viele Menschen zahlen keine Steuer, leben weit über ihren Verhältnissen und scheinen nur an das eigene Wohl, nicht aber an die Gesellschaft, an den Staat oder gar an die Natur zu denken. Die meisten von ihnen haben ihr Geld schon lange vor der Krise im Ausland deponiert.

Als Biologe hat mich natürlich der schlechte Zustand der Natur am meisten betroffen gemacht. Hunderte, wenn nicht tausende illegale Mülldeponien verteilen sich über das ganze Land. Selbst an Wasserquellen und karstigen Höhlensystemen, sodass das Wasser mit Arsen, Asbest und Schwermetallen verseucht ist. Sogar neben der Kornkammer Kretas liegt so eine Deponie.

Illegale Bauten sind ein weiteres Problem. Selbst in Regionen, die theoretisch als Nationalpark geschützt sind, entstehen ganze Dörfer. Die als Kernzone (A-Zone) geschützten Küsten werden quasi zubetoniert, ohne dass sich irgendeine Behörde darum kümmert. Journalisten, die illegale Bauten im Nationalpark filmen wollten, wurden verprügelt, in manchen Fällen wurde sogar auf sie geschossen.

Die Schießwütigkeit, die sich im Land verbreitet hat, ist besorgniserregend. So besitzen die 600.000 Menschen auf der Insel Kreta nicht weniger als 1,8 Millionen Waffen. Es soll Fischer geben, die eine Waffe bei sich tragen und sogar auf Mönchsrobben - eine der seltensten Tierarten der Erde - schießen. Außerdem wird immer noch mit Dynamit gefischt.

Wertvolle Lebensräume und Feuchtgebiete werden kontinuierlich "zugemüllt", wie man das in der EU nicht für möglich halten würde. Die Mächtigen vom Bürgermeister aufwärts schauen weg, weil sie davon in der Regel profitieren.

Weitere Beispiele: Es gibt Meeresbereiche, wo man überhaupt kein Leben mehr sieht, dafür werden auf den Fischmärkten zentimetergroße Fische verkauft: Die Fischer verwenden 8-mm-Netze, wo 4 cm vorgeschrieben sind. An den wertvollsten Schildkrötenstränden des Landes liegt seit Monaten Öl, das keiner entfernt. Das Wrack des 2007 versunkenen Kreuzfahrtschiffs "Sea Diamond" in der Caldera von Santorin wurde bis heute nicht geborgen, obwohl es täglich Öl verliert. In keinem Naturschutzgebiet gibt es eine Aufsicht, auch Informationstafeln, Verbots- oder Hinweisschilder sowie die Beschilderung von Naturdenkmälern sucht man vergeblich.

Dafür werden mit EU-Geldern Straßen bis in die letzten Gipfelregionen gebaut und damit die sensibelsten Ökosysteme der Ausbeutung preisgegeben. Meist reicht aber das Geld nicht aus, um die Projekte auch abzuschließen. Stattdessen entstehen aus dem Nichts Zufahrten zu Privathäusern - das funktioniert wie geschmiert. Und diese Aufzählung ließe sich auch noch lange fortführen. All das ist Realität in Griechenland - und wer seinen Augen nicht trauen mag, der höre, was die Menschen in den Dörfern zu erzählen haben.

Dass es in anderen Ländern genauso schlimm zugeht, wie oft behauptet wird, halte ich für ein Gerücht: Ich kenne kein anderes Land, das in einem so schlechten Zustand wäre - jedenfalls nicht in Europa, und schon gar nicht innerhalb der Europäischen Union. Richtig ist, dass es Korruption, Bestechung und andere Rechtsverletzungen - auch und gerade im Bereich des Umweltschutzes - überall gibt, aber nirgendwo sonst in dieser Dimension und Unverblümtheit. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13.6.2010)