Otto Tausig: "Die Welt, die Wirtschaft kann ich nicht verändern, drum versuche ich, das Leben Einzelner zu verändern."

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Schauspieler und Menschenfreund Otto Tausig verbessert die Welt der Armen, in Luxusrestaurants geht er nie. Warum er Nestroy liebt und was Brecht an Wien imponierte (die Küche) erfuhr Renate Graber.

Tausig (zu seiner Hündin): Nimm bitte zur Kenntnis, dass die Damen zum Interview da sind. (An Redakteurin und Fotografin:) Sind Sie doch? Das findet sie nicht fair, sie findet, sie soll gestreichelt werden.

STANDARD: Das ist Ihr zuckerkranker Hund?

Tausig: Nein, das ist schon seine Nachfolgerin: Anna, sie kommt aus Griechenland.

STANDARD: Ich will über die Österreicher, die Fremden und Theater mit Ihnen reden. Gott und die Welt passt nicht, Sie sind ja Agnostiker.

Tausig: Aber kein Atheist. Ich glaube nicht, dass wir Menschen gescheit genug sind, zu wissen, dass es Gott nicht gibt oder dass es ihn gibt. Ich glaube, wenn es ihn gibt, kümmert er sich nicht darum, ob man den Hut aufhat, wenn man in den Tempel geht oder den Hut runter nimmt, wenn man in die Kirche geht oder die Schuhe auszieht vor der Moschee. Ich glaube aber schon, dass eine Intelligenz im Universum existiert, die über unsere menschliche Vernunft hinausgeht. Unser Gehirn ist nicht dazu da, die Welt als Ganzes zu erkennen, sondern dazu, zu überleben. Wir wissen doch seit Einstein, dass unsere Begriffe von Raum und Zeit einfach nicht stimmen – oder nur für unsere Dimension. Kennen Sie den Atlasspinner?

STANDARD: Schmetterling?

Tausig: Ja, er kann zwei Dinge: einen Faden spinnen und den Stengel einer Blattpflanze durchbeißen. Er spinnt also, beißt diese Stelle durch, das Blatt fällt dank Faden nicht ab, rollt sich mangels Flüssigkeitszufuhr ein. In so ein Blatt legt er seine Puppe. Aber: Der Atlasspinner beißt fünf, sechs Stellen durch. Kommt nun ein Vogel, ist es unwahrscheinlich, dass er das richtige Blatt findet. Der Schmetterling weiß nicht, dass es ein sinnvolles Unternehmen ist, aber er tut's. Es gibt also Programme für Lebewesen, die Intelligenz erfordern, die nicht die ihre ist.

STANDARD: Seit 1989, als Sie in Indien bei Dreharbeiten das Elend der Kinder sahen, spenden Sie jeden Cent Ihrer Gagen an den Entwicklungshilfe-Klub. Fürs Leben reicht Ihnen Ihre Burgtheater-Pension, sagen Sie. Wie viel Geld ist da schon zusammen gekommen?

Tausig: Die Untergruppe "Künstler für Entwicklungshilfe", die ich gegründet habe, hat vor zwei Jahren die Million erreicht, jedes Jahr kommen 150.000 Euro dazu. Was ich tue, ist aber nicht großartig, ich habe doch eine tolle Pension. Sie sehen ja: Wir leben hier in Glück und Freude und werden morgen zu essen haben. Schauen Sie, wir haben im Vorjahr in der Wiener Oper eine Benefiz-Veranstaltung zu erhöhten Eintrittspreisen gemacht, mit der Netrebko als Manon. So haben wir an einem einzigen Abend die Versorgung für 600 Straßenkinder in Brasilien, Indien und Äthiopien für ein ganzes Jahr sichergestellt. Das ist toll, und liegt auch daran, dass die Wiener Schauspielern glauben. Die Wiener mögen eben Theater.

STANDARD: Früher haben Sie geglaubt, Sie könnten mit dem Theater die Welt verändern. Das geht nicht?

Tausig: Ich habe früher gedacht, wenn man humanistische Stücke richtig spielt, werden die Leute unten humaner. Aber das stimmt nur für die, die ohnehin schon am Weg sind, humaner zu werden. Einen Nazi wird man nicht umpolen, indem man ihm ein gutes Stück vorspielt.

STANDARD: Sie waren Kommunist, unser Wirtschaftssystem halten sie für mies. Was tun?

Tausig: Ich glaubte, mit Planwirtschaft würde es gehen, diese Hoffnung habe ich verloren. Die Welt, die Wirtschaft kann ich nicht verändern, drum versuche ich, das Leben Einzelner zu verändern. Das kann ich. Wir unterstützen etwa ein Projekt in Peru, da mussten die Frauen vier Stunden ins Tal um Wasser gehen. Wir haben ihnen Know-how und Material für eine Wasserleitung gegeben, das hat 7000 Schilling gekostet. In Relation zu meiner Pension: wenig. Meine Frau und ich gehen nicht in Luxusrestaurants, wir essen Fischstäbchen. Manche belächeln das. Aber ich mag Fischstäbchen, was soll ich machen?

STANDARD: Sie unterstützen auch Flüchtlingskinder in Österreich. Halten Sie die Österreicher grundsätzlich für fremdenfeindlich?

Tausig: Überall ist man fremdenfeindlich, schauen Sie in die Niederlande, nach Ungarn. Nestroy sagt so: "Wenn a Wolf im Wald an Wolf sieht, denkt er: Mein Gott, is halt a Wolf. Wenn a Mensch an andren Menschen im Wald sieht, denkt er: Is a Rauber." Der Mensch geht davon aus: Der andere ist immer schlechter als man selbst.

STANDARD: Sind Wiener bösartiger als andere? Sie erzählen oft die Geschichte, dass der Blockwart Ihres Hauses in der Favoritenstraße Sie im November '38 vor der SS rettete und sich dann Schreibmaschine und Schmuck Ihrer Familie holte.

Tausig: Ja, er trug dabei aber eine Träne im Knopfloch. Mein Kollege Karl Paryla hat immer gesagt: "Sind platzerte (weinerliche; Anm.) Raubmörder, die Wiener." Brutalität verbrämen sie oft mit Sentimentalität. Aber man darf nichts verallgemeinern.

STANDARD: Ihren Schauspielerkollegen Paryla, der ja auch an der Scala und danach wie Sie in der DDR war, haben Sie sehr geschätzt?

Tausig: Er war Kommunist, Schauspieler, Nestroy-Schauspieler, das alles habe ich geschätzt. Aber er hat Menschen sehr verletzen können. Über alles habe ich Schauspieler geschätzt wie Heinz George – doch als man gefragt hat: "Wollt Ihr den totalen Krieg?" hat er gerufen: "Ja!". Aber George war ein gigantischer Schauspieler. Schauspieler schlüpfen eben ihr Leben lang in fremde Rollen, es gibt nun aber auch charakterlose Schauspieler, die wägen dabei nicht ab, was man nicht tun darf.

STANDARD: Schauspieler sind eben auch nur Menschen?

Tausig: Ja, und sie sind eigene Menschen. Man lebt davon, dass man eine andere Mentalität aufnimmt – nur, die Frage ist, ob man dabei auch wirklich schizophren ist. Die Besten waren's oft. Ich habe wunderbare Schauspieler erlebt, sind fast alle Säufer gewesen. Nehmen Sie Harald Juhnke, keiner kann den Hauptmann von Köpenick besser. Wissen Sie, es ist halt so, wenn man rausgehen soll auf die Bühne, da haben manche solche Angst. Die Inge Konradi zum Beispiel, sie hat gebetet und sich bekreuzigt vor jedem Auftritt.

STANDARD: Hatten Sie großes Lampenfieber?

Tausig: Nicht so sehr. Die Bühne ist ja was Wundervolles. Ich merke das erst jetzt im Alter so richtig. Mein Auge hat ein Problem, das fällt oft zu, nur auf der Bühne passiert das nicht. Ich war deshalb sogar schon bei Ärzten in den USA, keiner hat mir helfen können. Helfen kann nur die Bühne.

STANDARD: Otto Schenk hat jüngst gesagt, sein Motor im Beruf sei der Selbstzweifel. Was ist Ihrer?

Tausig (flüstert): Ich glaub' kein' Ton. Mein Motor war der Trrriummmph, dass die Leute lachen, oder gar weinen. Wobei, im Grunde war der Motor schon auch Zweifel: Als Jude hatte man ja schon einen Komplex, den zu überwinden war auch ein Motiv: die Überwindung des untergründigen Zweifels.

STANDARD: Sie wurden mit 16 Jahren aus Österreich vertrieben, später bekamen Sie als Ex-Kommunist kein Engagement in Österreich. Erst 1970 holte Sie Klingenberg an die Burg. Verziehen?

Tausig: Ich konnte 14 Jahre lang nicht da spielen, außer am Theater der Jugend. Zum Verzeihen: Ich bin kein Richter, habe nicht das Recht zu verurteilen. Wäre ich kein Jude gewesen, hätte ich die Kameradschaft der Hitler-Jugend gut gefunden, vielleicht "Sieg Heil" gerufen? Ich weiß es nicht, also habe ich nicht das Recht, die zu verdammen, die es taten. Die Leute am Heldenplatz kamen aus Diktatur und Arbeitslosigkeit. Hitler gab ihnen Arbeit, wenn auch für Bomben und Granaten.

STANDARD: Das Heim für junge Flüchtlinge, das Sie heute unterstützen, ist nach Ihrer Oma Laura Gatner benannt. Ihre Großeltern wurden in Treblinka umgebracht.

Tausig: Das mit dem Geld für dieses Heim in Hirtenberg kam so: Meine Großeltern hatten ein Sparbuch bei der Creditanstalt. Als meine Mutter 1947 aus Shanghai zurückkam, fragte sie bei der Bank nach und bekam einen Brief, in dem die CA erklärte, das Konto sei aufgelöst, weil die Bank das Geld der Großeltern für die Juden-Umsiedlungsgebühr an die Nazis überwiesen hatte. Für diese Auskunft verlangte die Bank 35 Schilling. Ich habe dann, als die Schweizer Banken mit den Holocaust-Geldern Probleme bekamen, erneut bei der CA nachgefragt: Ich, der ich mit 16 Jahren allein flüchten musste, will das Geld meiner Großeltern zurück, das die Bank deren Mördern überwiesen hat, habe ich erklärt. Nicht für mich, sondern für unbegleitete jugendliche Flüchtlingskinder. Die Bank gab etwas von dem Geld als Anfangskapital fürs Renovieren des Hauses. Dort lebt ein kleiner Afghane, wissen Sie, was sein größter Wunsch im Leben ist? Er möchte so gern Violine spielen. Also lasse ich ihn Violine spielen.

STANDARD: Sie selbst haben in England, wo Sie per Kindertransport landeten, Bratsche in einem kleinen Orchester gespielt...

Tausig: Ich hatte daheim Geige lernen müssen, war miserabel. Bratsche konnte ich gar nicht, spielte nur, um nicht zu verhungern.

STANDARD: Sie wollten schon als Bub Schauspieler werden?

Tausig: Ja, mit zwölf Jahren konnte ich den Faust-Monolog aus Faust Eins ziemlich auswendig, mit 13 las ich Rilke. Daneben habe ich Edgar Wallace gelesen, nie aber Karl May.

STANDARD: Warum nicht?

Tausig: Es war ein bissl Arroganz. Ich wollte anders sein. Und Politik interessierte mich nicht. Wobei, Ungleichheit und Ungerechtigkeit lernte ich schon als Kind kennen: Mein Vater war sozialdemokratischer Fürsorgerat und Würstelmann bei der Arbeitslosenstelle. Er hat die Würstel hergeschenkt, weil die Leut' so arm waren.

STANDARD: Und was hat Sie am Theater so fasziniert?

Tausig: Ich bin ein geborener Kasperl. Ich mag's, wenn die Leute lachen, atemlos zuschauen oder weinen.

STANDARD: In England haben Sie mit dem Theater begonnen, Sie wurden dort auch Kommunist.

Tausig: Ich setzte am Feld Kartoffel ein und sagte mir: Das mache ich nicht mein Leben lang. Ich werde in Wien Nestroy spielen. Das war zur Zeit von Stalingrad. Also musste man zuvor Hitler bekämpfen; dabei entsprachen mir die Kommunisten, die ich im Lager traf, am meisten: Sie wollten ein unabhängiges Österreich, ein kommunistisches halt. Und ja, in London spielten wir für die Briten Revuetheater und für die Österreicher Raimund, Nestroy...

STANDARD: Sie haben in England auch den Dadaisten Kurt Schwitters getroffen. Er war ja auch sehr wortgewaltig.

Tausig: Und sehr witzig, seine Ursonate habe ich dort gehört (trägt vor): Rum-tum-tum-pftrtrtr, uka uka. Und so fort. Oder sein Gedicht "Leise": Da hatte er auf dem Tisch vor sich eine Kaffeetasse mit Löffel drin und klopfte fest und immer fester auf den Tisch. Die Tasse schepperte und schepperte, und er sprach: Räder kreisen kreisen kreischen Sägen kreischen Sägen (wird immer lauter), bis es ganz laut war. Dann hat er die Tasse auf den Boden geworfen und geflüstert: "Leise". Aber den größten politischen Wortwitz hatte Jura Soyfer; er ging weit über das Gesellschaftskritische Nestroys hinaus. Er war glänzend.

STANDARD: Warum sind Sie eigentlich so ein Nestroy-Mensch geworden?

Tausig: Ich denk so wie er. Nestroy sticht die Aufgeblasenheit der Leute an, hat diesen unglaublichen Wortwitz und mischt ihn mit Skepsis: "Das Leben ist ein bei der Geburt gefälltes und auf unbestimmte Zeit sistiertes Todesurteil". Oder, was mir gut passt: "Mit gspaßigen Sachen nach dem Lorbeer trachten wollen, das is eine Mischung von Dummheit und Arroganz. Das is grad so, als wie wenn einer Zwetschkenkrampus macht und gibt sich für einen Rivalen von Canova aus."

STANDARD: Sie kamen 1946 zurück, gingen ans Reinhardt-Seminar, spielten bis 1956 am "Arbeitertheater" Scala. Nach der Schließung spielten Sie in der DDR, dort fielen Sie erst vom Kommunismus ab?

Tausig: Nein, das war schon als uns Chruschtschows Rede aus dem Jahr 1956 bekannt wurde, über Stalins Taten. Bevor ich die DDR verließ, fragte man mich: "Was wollen Sie? Einen Mercedes? Eine Villa?" Ich sagte: "Nein. Ich will nur einen Sozialismus, in dem man nicht gefragt wird, ob man einen Mercedes will."

STANDARD: Sie haben in Wien an der Scala 500 Schilling verdient, in der DDR viel mehr, zunächst 2000 Ostmark, und Sie fuhren einen Simca, also ein Westauto. Die Gehaltserhöhung auf 3000 Mark haben Sie dann aber abgelehnt, als unsozialistisch. Wo war der Unterschied?

Tausig: Ich wollte nur 2999 Mark und die habe ich auch genommen. Denn ein Vertrag ab 3000 Mark galt als ein Einzelvertrag, da gab es Privilegien, die ich eben als unsozialistisch ablehnte. Zum Beispiel Kohlezuteilungen. Das habe ich zutiefst unrichtig gefunden in einer sozialistischen Gesellschaft. Und das mit dem Auto stimmt auch, ich habe dann aber oft Kinder mitgenommen und bin mit ihnen um den Platz herumgefahren, weil ich so ein schlechtes Gewissen hatte. Ein normaler Ostdeutscher hat nie ein Westauto bekommen, der musste jahrelang auf seinen Trabi warten.

STANDARD: Sie kannten Brecht, er hat auch an der Scala inszeniert. Warum gingen Sie in Berlin nicht zum ihm?

Tausig: Weil ich ein Kasperl bin und spielen will. Bei Brecht, der ein Genie war, konnte man unendlich viel lernen, brauchte aber unter Umständen ein Jahr für eine Rolle. Nichts für mich. In Wien hat ihm aber die Kochkunst am meisten imponiert.

STANDARD: Das Schmalzbrot, auf das er Verehrerinnen einlud, aus denen mehr werden sollte?

Tausig: Nein, nein. Hinter der Scala gab es das völlig heruntergekommene Café Scala, da verkehrten Huren und Schauspieler. Die Besitzerin, eine dicke, triefäugige Person, hat einzigartigen Kaiserschmarrn gemacht. Brecht schrieb, seine größte Kulturtat wäre es, diese Köchin nach Berlin zu bringen.

STANDARD: Sie sagten einmal, Brecht sei ein "genialer Dilettant im Sinne Egon Friedells" gewesen. Wie war Brecht?

Tausig: Ich kann Brecht doch nicht mit ein paar Worten beschreiben. Sie müssen sich das so vorstellen: Er saß in der Probe, mit einer Menge Regieassistenten und Verehrern um ihn herum. Auftritt Schauspieler. Brecht sagt: Gehen Sie in die Requisite, und kommen Sie mit einem Blumenstrauß wieder. Die Probe wird unterbrochen. Auftritt des Schauspielers mit Blumenstrauß. Brecht: Halt. Gehen Sie lieber mit einer Bonbonniere. Die Probe wird unterbrochen, und so ging es weiter. Das ist eigentlich Dilettantismus: Die meisten Profis wissen schon beim Lesen, wie das Stück auf der Bühne ausschauen soll. Brecht nicht. Aber: Ihm sind dann Sachen eingefallen, die waren genial und einzigartig.

STANDARD: Sie haben zuletzt in etlichen Filmen mitgespielt, haben Sie aktuelle Drehpläne?

Tausig: Ach, ich habe jetzt gerade eine wunderbare Hauptrolle im Film "Kaddisch für einen Freund" von Leo Khasin angeboten bekommen; da geht es zunächst um Hass und dann Freundschaft zwischen einem alten Juden und einem arabischen Burschen, der zuletzt das jüdische Totengebet für den Alten spricht. Hauptdarsteller müssen sich aber wegen der Produktionskosten versichern, für den Fall, dass sie während des Drehs sterben. Aber man versichert mich nicht mehr: zu viele Krankheiten.

STANDARD: Früher hat man Sie nicht auftreten lassen, dann wurden Sie geehrt. Zu Ihrem 65er wollte Ihnen die Stadt Wien die Goldene Ehrenmedaille verleihen, die haben Sie aber per Brief abgelehnt. Darin nannten Sie sich Gegen-den-Strom-Schwimmer, Schauspieler und Revoluzzer. 1981 wurden Sie sogar fast zum Helden, als Sie allein die Lieferung von Steyr-Panzern nach Argentinien verhindern wollten.

Tausig: Schauspieler und Revoluzzer bin ich ja. Das mit den Panzern war fast mutig: Ich habe mich vor das Steyr-Tor gestellt, der Zug aus dem Werk fuhr auf mich zu, ich hatte Angst und dachte mir: Eigentlich eher eine Rolle für Burt Lancaster. Man hat mich aber nicht überrollt.

STANDARD: Was war denn Ihr schlimmster Auftritt?

Tausig: Ich bekam nur für meinen ersten Scala-Auftritt als Siggie in Golden Boy schlechte Kritik: "Otto Tausig stört durch Albernheit." Da hatte ich solche Angst gehabt, dass ich mich vorher betrunken hab'. Einmal haben wir am Akademietheater "Das Berghotel" von Vaclav Havel gespielt, in dem Stück wird es drei Mal dunkel. Nach jedem Dunkelwerden war ein Drittel des Publikums verschwunden. Aber die Leute sind wegen des Stücks rausgegangen, nicht meinetwegen. Ich habe aber auch später schlecht gespielt, etwa 1981, als wir George Tabori am Akademietheater spielten. Ich war der Mann, der sich am Abend vergiften wird und mit seiner Frau spricht. Tabori schrieb das, um seine Angst vor dem Tod weg zu witzeln, darum war der Dialog flapsig. Und ich habe versucht, ununterbrochen den Tod erleben zu wollen: völlig falsch. Ich kam erst später drauf, da fiel mir auch ein, dass Tabori leise gesagt hatte: "Das ist eine Komödie." Da hätte ich schon erkennen müssen, dass ich eine Tragödie spiele.

STANDARD: Den-Tod-Erleben ist aber auch schwierig, oder?

Tausig: Vor allem für einen Komiker.

STANDARD: Letzte Frage. Worum geht's im Leben?

Trausig: Was Sie mich fragen. Ich würde gerne die Welt etwas gerechter gestalten. Ich versuche, etwas von den guten Ideen Marx' zu retten, wissend, dass das Ganze nicht zu retten ist.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13.6.2010)