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Mitunter hilft der beste Abwehrzauber nicht: Über das Tabu ist zu reden.

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"Die Ermordeten sind die Opfer, die Mörder sind die Täter. So viel ist und bleibt klar": Friedhof im syrischen Aleppo, wo sich früher, im Ottomanischen Reich, ein türkisches Sammellager für Armenier befand.

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Im Zuge der eilfertigen Verabschiedung von Geschichte - im Kontext des Poststrukturalismus etwa durch intellektuelle Lustbarkeiten à la Postmoderne und Posthistoire - wurde bedauerlicherweise darauf vergessen, dass all die Spielarten eines "Anything goes" ein Tor zur Trivialität aufstoßen. Auf die Gefahr hin, aus Sicht der Verabschiedungsspezialisten ins ausdifferenzierte Messer zu laufen, behaupte ich jedoch, dass Politik und Sozialsysteme sich im Buch der Geschichte nicht einfach so umblättern lassen, ohne dass postwendend ihre hässlichen Seiten zum Vorschein kämen. Das scheinbar stets mögliche "Ent-" und "Post-" verkennt in letzter Konsequenz seine Auswirkungen und trägt nichts zur Lösung von Problemen bei. Aus den für die Belegung dieser Annahme zahllosen möglichen Beispielen greife ich eines heraus, die Frage nach der Bedeutung des Tabus und den Möglichkeiten des Umgangs damit.

Jedes Tabu hat seine Begründungszusammenhänge, doch diese entziehen sich oft dem Außenstehenden, dem Nichtmitglied einer mit dem Tabu und seinen Codes vertrauten Gesellschaft. Das kann sogar so weit gehen, dass das gesellschaftliche System auf diesem Tabu zwar seine Berechtigung aufbaut, dies nach einiger Zeit den Anwendern jedoch kaum noch nachvollziehbar ist. Jeder Versuch, ein systembildendes, wirkungsmächtiges Tabu zu hinterfragen, führt dann zwangsläufig zum Konflikt. Das Tabu an sich stellt kein simples Verdrängen oder Verschweigen dar. Es handelt sich vielmehr um die Vorgabe einer Lesart, sozusagen die Anordnung eines Verständnisses von Zeitläufen. Die Schwierigkeiten, ein Tabu durchzusetzen - und der Grund dafür, weshalb es danach umso stärker wirken kann -, hängen mit der Notwendigkeit einer Kollektivbildung zusammen. Ein ausschließlich individuell bestehendes, allein für eine Einzelperson existentes Tabu schließe ich aus dieser Betrachtung aus.

Das Tabu als sozial wirksame Verhaltensregel handelt von einem Verbot. Indem dieses exekutiert wird, bleibt es zugleich als solches präsent. Daraus können sich drei Entwicklungen ergeben: 1.) Der Grund für das Verbot bleibt präsent, und damit kommt es zur Verschärfung von Divergenzen. 2.) Die Ursprungsmotivation tritt mit der Zeit in den Hintergrund, und das Tabu wandelt sich zum Mythos (davon handeln etwa Erzählungen der Antike, die Bibel, Shakespeare und die Märchen der Brüder Grimm). 3.) Die Gesellschaft nimmt sich des Tabus und seiner Ursachen im Rahmen einer wie auch immer spezifizierten Form von Aufarbeitung an.

Bricht man Tabus auf Schlagworte herunter, geht es zumeist um Tod bzw. Mord, Sexualität und Gewalt, Alter, somatische Vorgänge, Krankheiten und Machtgefüge. Körperlichkeit und Systemfragen sind elementar. Die oft unterschiedlich verklausulierte Betroffenheit der Einzelnen verhindert jedoch die konzise Rede darüber und sichert zugleich das massive Interesse an der Fortsetzung der Tabureden. Nicht umsonst lässt kein noch so seriöses Nachrichtenmagazin Jahr für Jahr die Durchdeklinierung von Tabuthemen vermissen - Titelblätter müssen sich verkaufen.

Daraus ergibt sich einerseits eine Paradoxie des Tabus und andererseits die unsinnige Rede von der "tabulosen Gesellschaft" . Die Paradoxie besteht darin, dass Tabuthemen wieder und wieder aufgegriffen werden, sich ganz wunderbar verkaufen, die unterschiedlichen Interessenlagen zu bedienen verstehen - sich an der Wirkungsmächtigkeit der Tabus jedoch nichts ändert.

 

Gleichzeitig ist die Idee von einer Gesellschaft ohne Tabus so nicht umsetzbar, würde sie doch eingespielte Schutzmechanismen unterlaufen, was nichts weniger bedeutet, als dass die Gesellschaft nach Abschaffung der Tabus nicht mehr dieselbe ist. Das muss nicht per se von Übel sein, doch Tabus sind eben nicht einfach nur oktroyierte Lesarten. Sie stellen auch Angebote dar, das Kollektiv und seine Einzelteile vor als bedrohlich empfundenen Vorgängen wie -fällen zu schützen.

Masse und ...

Es lässt sich grob zwischen zwei Arten von Tabusetzungen unterscheiden: Es gibt körperbezogene, bei denen das Tabu eine jahrhunderte-, oft auch jahrtausendealte Vorgeschichte und nahezu ehernen Bestand hat. Und es gibt solche, die in einem unmittelbar für ein Gesellschaftssystem relevanten Kontext stehen. Sie sind bedeutend jüngeren Datums, und ihre Haltbarkeit ist begrenzt. Man kann nicht über das Inzesttabu verhandeln, dafür aber mithelfen, einen 100 oder mehr Jahre zurückliegenden Massenmord mit völkischer Motivation aufzuarbeiten. Ganz gleich, ob dieser nun mit Macheten oder industriellen Mitteln und Logistiken erfolgte. Ganz gleich, wie sehr eine Gesellschaft sich auf dieser Basis konstituierte.

In einer der bekanntesten Erzählungen aus alter Zeit, dem Dekalog, handeln die ersten Gebote vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Darauf folgt die Regelung des Verhältnisses eines Individuums gegenüber seinen Eltern. Daran schließen sich jene Gebote an, die die Verhältnisse der Menschen untereinander regeln sollen. Das erste, fundamentalste davon ist jenes, das es verbietet, einen anderen zu töten.

Gewalt gegen den Körper, Mord, wird als das Schlimmste eingestuft, was Menschen Menschen antun können. Hier wird eine klare Grenze im Sinne des Zivilisationsgebotes an sich gezogen. Von Sigmund Freud her (Totem und Tabu, Der Mann Moses) wissen wir, dass es bei der Grenzüberschreitung auch einen Konnex von Sexualität und Gewalt zu beobachten gibt. Es geht dann wesentlich um die Entladung dessen, was aufgestaut ist; um die radikale Überschreitung der eigenen Grenzen. Derartige negative kollektive Energieentladungen vor dem Hintergrund rücksichtsloser Überschreitung von Geboten und Grenzen kennen wir aus zahlreichen Berichten im Zusammenhang mit einem Genozid oder Massenmord mit völkischer Motivlage (Nazideutschland, Ruanda, Balkankriege ...). Übereinstimmend wird immer wieder von rauschhaften Zuständen berichtet, davon, dass bei den Tätern die Teilnahme an Massakern eine völlige Entgrenzung auslösen kann.

Mir geht es keineswegs um eine Exkulpierung, sondern vielmehr um die Beobachtung eines spezifischen Musters. Wenn es um die massenhaften Tötungen von 1915, um die Auseinandersetzungen zwischen Armeniern und Türken geht, kann man sich etwa vor Augen führen, dass die orientalischen Gesellschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gewalt und Sexualität aus dem öffentlichen Raum auszugrenzen, diese Bereiche zu tabuisieren versuchten. 1915 wäre so gesehen eine Entladung gegenüber einer doppelten Tabuisierung, und zwar mit einer enormen Wirkung: hinsichtlich der zweifachen Tabusetzung zuvor und hinsichtlich des doppelten Bruchs im Moment. Dies führt auch zum Schluss, dass eine dies alles quasi "versiegelnde" Erzählung erst recht von höchster Bedeutung sein muss. Denn ein Ahnen, was hier geschah, ist auch den nachfolgenden Generationen, die diese Erzählung annehmen und darauf ihre Identität abstellen können, eingeschrieben. Wir haben es bei derart mörderischem Massenverhalten mit in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Umständen zu tun, auch und gerade auch in der Nachwirkung.

... Schmerz

Inwieweit gibt es einen Zusammenhang zwischen Tabusetzungen und den Erinnerungen, die das Kollektiv stützen? Inwiefern sind Tabus, als Schutzmechanismen für Bewusstseins- und Bedürfnislagen, Hindernisse für die Zukunft? Tabus erteilen sehr präzise Auskünfte über Gesellschaften, doch damit ist noch nicht die Frage beantwortet, wie die Entwicklung, wie der Prozess für die dem Tabu zuzurechnende Gesellschaft im Weiteren vorstellbar ist. Blenden wir zurück, fragen wir nach dem Auslöser für Gedächtnisleistungen bzw. danach, was diese fortgesetzt unterstützt.

Fragen wir danach, ob eine Tabusetzung oder ob ein Schmerz an sich ein Ereignis besser im Gedächtnis hält. Friedrich Nietzsche bemüht in Zur Genealogie der Moral den Schmerz als primären Eintragungsbehelf für eine gottähnlich selbst vorherbestimmte Zukunft: ",Wie macht man dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis? Wie prägt man diesem teils stumpfen, teils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften Vergesslichkeit etwas so ein, dass es gegenwärtig bleibt?‘ ... Dieses uralte Problem ist, wie man denken kann, nicht gerade mit zarten Antworten und Mitteln gelöst worden; vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte des Menschen, als seine Mnemotechnik. ,Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis‘ - das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten (leider auch allerlängsten) Psychologie auf Erden."

Nietzsche rekurriert hier auf die lange Tradition der Gedächtnistheorien, die vom Einritzen, von einer inneren Schrift ausgehen. Er will das Bestehen eines Schmerzes deutlich machen und stellt auf dessen Dauerhaftigkeit ab - und er projiziert den Schmerz Richtung Zukunft. Auch unter Berücksichtigung gegenwärtiger Gedächtnistheorien bis hin zu den neurophysiologischen Ansätzen Eric Kandels lässt sich festhalten, dass Reize wie Schmerz für die Erinnerungsarbeit relevant sind.

Erfolgreich gesetzte Tabus stellen Formen der Verallgemeinerung dar und sind kleinste gemeinsame Nenner von Gesellschaften und ihren Geschichtsnarrativen. Diese kollektiven Erinnerungssetzungen weisen Parallelen zur darunterliegenden Ebene individueller Gedächtnissituationen auf. Hier treffen sich gesellschaftspolitische Relevanz und politische Nützlichkeit mit den Notwendigkeiten des Individuums, seine Person und Bedürfnisse zu sichern.

Freud hat in Totem und Tabu klar herausgestrichen: "Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung, sie sind unbekannter Herkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben." Was wäre aber, wenn es sich unter dieser "Herrschaft" für die meisten gut leben lässt - und die Aufhebung des Tabus und der damit verbundenen Gewissheiten zunächst nichts als massive Probleme mit sich brächte?

Das Stigma an sich ist ein dem Kainsmal ähnliches Wund- oder Brandmal, ein eingeschnittener Ausweis der Unantastbarkeit. Es soll ein genau definiertes Verhalten auslösen. Die Bewahrung des Stigmas ist vielleicht schmerzhaft, doch wurde dieses durchgesetzt und ist anerkannt. Löse ich ein Tabu auf, setze ich die Wirkung des Stigmas aus, muss ich auch für die Durchsetzung einer neuen Sichtweise und neuer Verhaltensregeln sorgen.

Das, was sich in die Erinnerung über Generationen eingebrannt hat, soll ausgeschliffen werden, es bedarf dann neuer Einritzungen. Diese fallen umso schwerer, je unmittelbarer das ursprüngliche Tabu in einem Zusammenhang mit den Machtapparaten stand.

1915

Einige Schlagworte zur überkomplexen historischen Situation von 1915: Das Deutsche Reich entwickelte seit langem seine imperialistischen Vorstöße im Nahen und Mittleren Osten, in der Region spielten gleichzeitig die spezifischen Positionierungen Großbritanniens eine gewichtige Rolle; die Türkei hatte im Inneren mit ihren "Jungtürken" und nach außen mit Russland sehr unterschiedliche Formen der Machtfrage durchzudeklinieren. Dazu kam 1915 ein veritabler Weltkrieg mit einer extremen Brutalisierung.

Kam es 1915 zu einem Genozid oder nicht? Und inwieweit ist bereits die Frage, sind deren Narrative zentrale Elemente für die Bildung eines je einschlägigen Identifikationsangebots für Türken und Armenier? Welche Erzählungen ließen sich daraus ableiten? Hier lässt sich ein exemplarischer und notwendiger Zusammenhang zwischen Tabus und der Nützlichkeit von Verschwörungstheorien herstellen - über die Massengräber hinweg geht es um die Frage von Machtansprüchen und -apparaten. Gesellschaften im Umbruch brauchen spezifisch wirksame Erzählungen, ob diese nun von der Verteidigung, vom Opfer, vom Sieg oder der Vernichtung berichten.

Tabus sind an sich integraler Bestandteil von Machtsystemen, umso mehr jener, um die es hier geht: So muss die Rolle der Militärs in der Türkei auch aus diesem Blickwinkel betrachtet werden. Denn die Kontinuität der militärischen Heldengeschichte, im Umfeld eines Gründungsmythos, den der junge türkische Staat im Aufbruch zur Moderne benötigte, hätte ohne das Tabu von 1915 kaum so gut funktioniert. (Derzeit ist zu beobachten, dass sehr vorsichtige Schritte einer Annäherung zwischen der Türkei und Armenien versucht werden, während der Einfluss des Militärs auf die türkische Gesellschaft und Politik mit heißem Bemühen zurückgedrängt wird.)

Und wie lautet die Frage nach der konstituierenden Geschichte für Armenien? Die Benennung der Massenmorde als "Genozid" ist wesentlich, und wenn man darauf achtet, gibt es auch hier eine Form des "Opfermythos" , der natürlich seinerseits spezifische Zielsetzungen ermöglicht. Das ist nicht verwerflich, auch wenn es auf dieser Seite um die Begründung von Staatswesen und Volksbegriff geht, besonders dann, wenn, wie in diesem Fall, in dramatischem Ausmaß auch kulturelles Erbe vernichtet wurde. Dabei bleibt aber stets festzuhalten, dass es nicht darum gehen kann, Opfer und Täter gleichzusetzen. Bei aller notwendigen Reflexion, ob dies seinerseits ein Tabu sei oder nicht: Die Ermordeten sind die Opfer, die Mörder sind die Täter. So viel ist und bleibt klar.

 

Tabus und Verschwörungstheorien sind vor allem in fragilen Gesellschaften relevant. Damit kann Politik gemacht werden - oft auch jahrzehntelang mit Erfolg. Doch bei allem Aufwand: Die Ursachen für Tabuisierungen, Redeverbote und spezifische Diskursverschiebungen kommen stets zurück, sie rücken auf die Agenda und sind irgendwann nicht mehr wegzudrücken. Vielleicht bietet sich, abstrakt gesprochen, als "Lösung" in einem ersten Schritt an (und möglicherweise ist dies genau jener Prozess, der vernünftigerweise zwischen Armenien und der Türkei angestrebt wird), dass man zumindest die unterschiedlichen Auffassungen akkordiert und sich Klarheit verschafft. Denn wenn man nicht aus der Tabuzone rauskommt, wird man im Schwemmsand der Geschichte steckenbleiben. Es gilt somit, diese Areale abzustecken und das darin befindliche Treibgut zusammenzutragen, es zu sichten.

Österreich

Geschichtliche Abläufe bieten mitunter Lektionen, die zugleich bitter und ironisch sind. Für Prozesse der "Enttabuisierung" gilt dies besonders. Oft lässt sich feststellen, dass gerade fragile Gesellschafts- und Politiksysteme erst grundsätzlich gestärkt werden müssen, damit sie sich ihrer Tabus und ihrer einstigen eigenen Fragilität annehmen, diese zumindest ansatzweise aufarbeiten und überwinden können.

Die Ereignisse von 1915 lassen sich mit der Shoah nicht vergleichen, und Belehrungen stehen gerade aus österreichischer Sicht nicht zu. In unserem Land sollten wir aber wissen, was die Verdrängung (jedenfalls höchst unterschiedliche Gewichtung) der Ereignisse zwischen 1938 und 1945, wohl auch schon zwischen 1934 und 1938, auslösen konnte - wir sind unweigerlich und mit Wucht von unserer so lange beiseitegestellten Geschichte eingeholt worden. Es ist kein Zufall, dass dies erst in der stabilisierten Gesellschaft der 80er-Jahre möglich wurde und in der fragilen Gesellschaft von und nach 1945 nicht möglich bzw. durchsetzbar war.

Die Debatten rund um Kurt Waldheim beinhalteten in den 80ern ff. stets eine Parallelaktion: Es ging um die Täter-Opfer-Relationen, um die intensive Beteiligung von Österreichern und Österreicherinnen am Massenmord mit industriellen Mitteln, um Mitläufer und immer wieder um Schuld. Aber es ging auch um eine Hinterfragung der Jahre und Jahrzehnte nach 1945, um mangelnde Aufarbeitung, um eine schleißige Nachkriegsjustiz, um "braune Flecken" und die fortgesetzten Versuche ihrer bloßen Übertünchung. Es ging auch ganz wesentlich darum, wie sich eine Gesellschaft mit ihrem Erbe auseinandersetzte, wie sie sich gegenüber ihrer Geschichte und ihren Legitimationsgrundlagen verhielt. Dass ausgerechnet die extreme Rechte aus diesen Auseinandersetzungen gestärkt hervorging, lässt sich als Versagen der politischen Ebenen deklarieren.

Aber es ist auch ein ansatzweises Versagen der Gesellschaft, ihrer demokratischen Institutionen - und es zeigt sehr eindrücklich, dass der Umgang mit Tabus nichts weniger als notwendig ist, wiewohl das einen durchaus langen Prozess bedeuten kann, der viel Arbeit, Mühe und Geduld wie auch eine gewisse Schmerzresistenz erfordert.

Trotzdem können aus den jüngeren österreichischen Erfahrungen im Umgang mit der Vergangenheit nützliche Lehren gezogen werden. Im Besonderen verweise ich auf die Zeit seit 1988, als Bundeskanzler Franz Vranitzky die schmerzhaften und tragischen Ereignisse von 1938-1945 und die Involvierung der Österreicher in diese in einer Rede vor dem österreichischen Parlament aufgriff. Die Aufarbeitung von Geschichte ist niemals ein Prozess der Bereinigung, aber es kann durchaus ein Akt der Befreiung sein. Man wird, um dorthin zu gelangen, um den Schmerz nicht herumkommen. Anders gesagt: Es gibt keine schmerzlose Befreiung von den Tabus und ihrer Geschichte. (Alfred Gusenbauer/DER STANDARD Album, 12.06.2010)