Ein Todesfall und die widersprüchliche Rekonstruktion seiner Vorgeschichte: "Czlowiek na torze" (Der Mann auf den Schienen, 1957), düsteres Drama von Andrzej Munk

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"Zezowate szczescie/ Schielendes Glück"

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Das Österreichische Filmmuseum zeigt das bedeutende, schmale Werk des Polen Andrzej Munk: Sechs Kinofilme, die ein skeptischer, ins Groteske neigender Realismus auszeichnet.


Wien - "Symbolik? Die kann man Andrzej Wajda überlassen!" - Ungefähr so zitiert ein Weggefährte den Regisseur Andrzej Munk in der Dokumentation Ostatnie zdjecia/ Die letzten Aufnahmen, die sich mit dessen vielleicht bedeutendstem Film, Pasazerka/ Die Passagierin, beschäftigt.

Munk zählte zwar in den späten 50ern wie auch Wajda zu den Erneuerern der "Polnischen Schule". Im Unterschied zu diesem war er jedoch der Verfechter eines ins Groteske neigenden Realismus, der ihm Vergleiche mit dem Schriftsteller Witold Gombrowicz einbrachte.

Munks Skepsis und sein Sarkasmus gelten einer Welt, in der der Fortschritt stets auch einer des Terrors ist. Kein Held seiner Filme eignet sich als Identifikationsfigur: Sie sind Schlemihls wie die Figur aus Zezowate szczescie/ Schielendes Glück, die in politischen Gruppierungen nicht Halt findet, sondern Hiebe erntet; oder sie sind einfach so betrunken, dass sie sich als Boten zwischen den Fronten verirren, wie in Eroica, einer "Heroischen Symphonie in zwei Sätzen".

Das Österreichische Filmmuseum widmet Munk, der nur fünf Filme beenden konnte, nun eine Hommage - begleitend dazu hält die US-Filmwissenschafterin Maureen Turim einen Vortrag (21. 4.). Seine letzte Arbeit, Pasazerka, blieb unvollendet, da Munk noch während des Drehs tödlich verunglückte. Seine Mitarbeiter, vor allem Witold Lesiewicz, stellten sie fertig, indem sie ihren fragmentarischen Charakter noch betonten.

Brüchige Gegenwart

Pasazerka ist ein Spielfilm über Auschwitz, erzählt aus der Perspektive einer Täterin. Er beginnt auf einem Schiff, wo die einstige KZ-Aufseherin Marta in einer Passagierin die Gefangene Liza wiederzuerkennen glaubt. In zwei Rückblenden "erinnert" sie sich an die damalige Zeit, im Gestus eines Rechtfertigungsmonologs gegenüber ihrem Mann, der nichts von ihrer Vergangenheit wusste.

Der (unfertige) Teil des Films auf dem Schiff besteht nur aus Standfotos. Das führt zu dem irritierend stimmigen Effekt, dass die "Gegenwart" des Films brüchiger erscheint als die nachträgliche Fiktionalisierung des Lebens im KZ. Munks Erzählhaltung ist unerhört raffiniert: Er wählt den Kardinalfehler - ein psychologisches Drama, mit dem Marta beweisen will, dass sie menschlich handelte, wenn sie Liza vor dem Schlimmsten zu beschützen versuchte.

Die zweite Rückblende wirft auf ihr Verhältnis neues Licht, weil nun Liza couragiert Widerstand leistet, während Marta sie brechen will. Was Munk, der selbst Jude war, aber eigentlich zeigt: Es ist schon falsch, eine persönliche Geschichte zu erzählen. Im unscharfen Hintergrund der Bilder geschieht das Wesentliche, denn dort läuft die Systematik des Mordens ab.

Erhängte am Galgen, Internierte, die gedemütigt werden, ein Mädchen, das auf seinem Weg in die Gaskammer noch kurz den Hund des Aufsehers streichelt. Manches davon sieht sogar Marta, obwohl sie nicht davon spricht. (DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.4.2003)