Das Bild wird klarer. Die "Pensionssicherungsreform" (Wolfgang Schüssel) ist zum großen, vielleicht überwiegenden Teil eine "Budgetsicherungsreform". Man könnte sogar sagen, sie ist eine "KHG-Karrieresicherungsreform" für den smarten jungen Finanzminister. Sie ist natürlich auch eine "ÖVP-Wiederwahl-Sicherungsreform", obwohl dieser Effekt inzwischen schon ziemlich zweifelhaft geworden ist.

Die Vorwürfe gegen diese Reform konzentrieren sich zum einen auf die Härte, mit der schon die demnächst in Pension gehenden Personen abkassiert werden: Pensionsverluste zwischen 14 und 30 Prozent; besonders stark betroffen sind davon die Frauen; zum anderen auf die Frage, ob das in dieser Form jetzt überhaupt notwendig ist.

Begründet wurde das zunächst damit, dass der Staat, der aus Steuermitteln die durch Beiträge nicht abgedeckten Fehlbeträge der Pensionsversicherung zuschießt, sich das nicht mehr leisten könne: Die Zuschüsse "explodieren". Sie tun dies jedoch nach unwidersprochener Aussage von Experten keineswegs sofort, sondern die kritische Phase beginnt erst mit 2015. Dennoch wollen Schüssel, Wirtschaftsminister Bartenstein und Finanzminister Grasser ihre Pensionskürzungsreform beinhart jetzt durchziehen. Der Vorsitzende der Pensionsreform-Kommission, Prof. Tomandl, erklärte sogar, die größten Härten stammten nicht von seiner Kommission. Sie wurden nach glaubwürdigen Berichten am Wochenende vor der Vorlage der Reform in einem Treffen von Schüssel, Bartenstein, Grasser dem hilflosen FP-Chef und Sozialminister aufs Auge gedrückt. Und zwar unter der Maßgabe der höchsten Einsparungseffekte fürs Budget. Haupt wurde dann zynischerweise von Bartenstein die Verantwortung zugeschoben.

Warum lassen sich Schüssel & Co. auf eine derart unpopuläre und, wie sich inzwischen zeigt, politisch kontraproduktive Linie ein? Weil dringender Geldbedarf besteht. Einerseits springt die Konjunktur nicht an. Finanzminister Karl-Heinz Grasser sieht immer weniger Chancen, seinen Nimbus als Budgetsanierer und jugendlicher Apoll des Nulldefizits zu halten. Er braucht das aber oder glaubt es zu brauchen, um in der internationalen Finanzwelt oder in der EU-Kommission (als Wirtschaftskommissar) Karriere machen zu können. Das ist seine spezielle Interessenlage.

Schüssels spezielle Interessenlage hingegen ist schlicht die Wahl 2006. Er braucht einen Wahlschlager, nachdem er (und Grasser) den Österreichern bisher nichts als Belastungen gebracht haben. Das soll 2005 die "größte Steuersenkung der Zweiten Republik" (Grasser) bewirken. Das Geld dafür ist aber nicht da, wie alle Experten bestätigen. Schuldenmachen ist out, bei der Verwaltung wird nichts eingespart. Daher holt man sich einen Teil des Geldes von den Pensionisten der nächsten Jahre. ÖVP-Generalsekretär Lopatka hat diesen Zusammenhang soeben in dankenswerter Offenheit hergestellt.

Das ist auch in einem objektiven Sinn ein Offenbarungseid. Wenn die "Wende" einen Sinn hatte, dann den, endlich Reformen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur anzugehen. Was im Pensionssystem, einem zentralen Bereich, jetzt geschieht, ist kurzfristige Geldbeschaffung. Es gibt allerdings auch langfristige Absichten dieser scheinbar so unmotiviert harten "Reform": Die jetzt 30- bis 40-Jährigen sollen durch Aussicht auf magerste Pensionen in die private Vorsorge gezwungen werden. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)