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Foto: REUTERS/Kevin Coombs

Eineinhalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa ist es so weit: Die ehemaligen "Satelliten" des Kreml werden in die Europäische Union aufgenommen. Sie sind in dieser Zeit aus eigenen Stücken den Weg zur Demokratie gegangen und haben damit eines der größten Friedensprojekte aller Zeiten gestärkt: die europäische Einigung. Gelungen ist dies ohne Bürgerkriege, ohne Überfälle von außen. Mit einer tragischen Ausnahme: Die Kriege auf dem Balkan waren wegen der Eigendynamik dieses Raums und wegen des Fehlens von Persönlichkeiten wie Václav Havel oder auch Michail Gorbatschow nicht zu verhindern.

Dies alles zu betonen ist umso wichtiger, weil zahlreiche Kommentatoren in den letzten Monaten nicht müde wurden, wegen des Konflikts mit den USA die Zukunft der EU in^frage zu stellen. In Wirklichkeit ist es unhistorisch und naiv, ein halbes Jahrhundert nach dem Start dieses Projekts seine Vollendung zu verlangen. Und zugleich - wie zynisch - seine Unterwerfung unter amerikanische Weltmonopol-Ansprüche. Tatsächlich sind die Erfolge größer als die Misserfolge, die gemeinsame Währung Kerneuropas ist trotz wirtschaftlicher Rückschläge eine Jahrhundertleistung.

Am Tag, da auf der Athener Akropolis die Beitrittsakte unterzeichnet werden, dürfen die Defizite und Probleme der Erweiterung nicht unerwähnt bleiben.

1.) Die EU hat es nicht geschafft, zeitgerecht eine wirksame Reform der Brüsseler Institutionen zu beschließen. Sowohl Apparat als auch Parlament werden einfach auf die Bedürfnisse von 25 Staaten aufgebläht. Das wird nicht gut gehen. Die Entscheidungen werden noch komplizierter. Eine Demokratisierung findet ebenso wenig statt wie ein Machtzuwachs der gewählten Abgeordneten.

2.) Weil die Schaffung einer europäischen Militärorganisation verschleppt wird, wächst die Kluft zwischen Kerneuropa und der Peripherie. Hier Frankreich, Deutschland und Belgien, die bereits gemeinsame Truppenteile installiert haben, dort die Nato-Staaten Großbritannien und jetzt auch Polen, die in militärischen Fragen nicht Brüssel, sondern Washington als Kommandozentrale sehen. Vor allem mit den Polen wird noch zu rechnen sein.

3.) An den Grenzen wird sich wenig ändern. Geringere Wartezeiten vielleicht, aber die Kontrollen bleiben. Denn die Schengen-Grenzen verschieben sich nicht so bald. Jene zu Slowenien fällt vielleicht schon 2004, die zu Ungarn und zur Slowakei frühestens 2007, die zu Tschechien möglicherweise erst ein, zwei Jahre später.

4.) Die Korruption und das organisierte Verbrechen: Nicht dass die EU da besonders erfolgreich gewesen wäre. Unter Berlusconi hat sich die Mafia wieder gefangen, und in Sachen Korruption gibt es ein ausgeprägtes Nord-Süd- Gefälle - von belgischen Phänomenen abgesehen. Ostmitteleuropa bringt zusätzliche Gefahren, weil die Regierungen nur geringe Erfolgserlebnisse hatten.

5.) In der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt hat bereits die Ostöffnung in den Neunzigerjahren viel entschieden. Die meisten Arbeitskräfte, die kommen wollten, sind schon da. Firmen, die im Osten investieren wollen, haben das längst getan oder damit begonnen. Dadurch wird der Effekt der Erweiterung für die europäische Ökonomie nicht mehr als 0,2 Prozent jährlich betragen. Höher wird der Effekt für Österreich - und da wieder für den Wiener Raum - sein. Dem gegenüber steht ein negativer Effekt. Es werden trotz der Übergangsfristen mehr Pendler und mehr Hilfsarbeiter nach Österreich strömen und damit den Druck auf dem Billiglohnsektor verstärken. Etwa 70.000 Arbeitsplätze sind davon betroffen. Höhere Möglichkeiten auf dem Hightech- Sektor werden aber die Bilanz, wie schon jene nach 1990, ins Positive verkehren.

Die heutige Zeremonie in Athen hat daher hohen Symbolwert - in der Wirklichkeit ist die Erweiterung längst auf dem Weg. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2003)