Wien - Dem kindlichen Revoluzzer Carlo, mit Flausen im Kopf und ohne Sinn für gerade Wege, muss bei den ewigen Benimm-Sentenzen von Onkel Grillo der Kopf brummen. Plötzlich scheint der aus Holz zu sein. Und mit einem Mal weiß der Bursch nicht mehr, ob er Spaß oder Angst haben soll. Wer ist er? Der Pinocchio-Hype ist also auch auf der Bühne nicht aufzuhalten, und der Filmerfolg von Roberto Benigni dürfte der österreichischen Erstaufführung von Wilfried Hillers Pinoccio-Oper im Kinderopernzelt der Wiener Staatsoper dienlich sein.

Was im Untertitel "Ein musikalischer Traum" heißt, ist eine eigenwillige Variante der Erzählung von Collodi (eigentlich Carlo Lorenzini). In zwei Welten, einer realen und einer märchenhaften, vermischen sich Wirklichkeit und Irrealität. Hauptfigur Carlo erleidet, seiner Kleider entledigt, das Schicksal Pinocchios: Man beraubt und belügt ihn, hängt ihn auf, ein Wal verschluckt ihn. In größter Not kommt aber eben doch von wo ein Lichtchen her.

Die Fee rettet ihn, indem sie in letzter Minute einen Aufwachzauber über ihn streut (Inszenierung: Thomas Birkmeir, Bühnenbild: Andreas Lungenschmid, Kostüme: Irmgard Kersting). Die Spannung aufrechtzuerhalten zwischen Holzpuppe und Menschenkind gelingt Renate Pitscheider in der Titelrolle sehr gut. John Dickie als Onkel Grillo wie auch die wunderschöne Stella Grigorian als Blaue Fee und Hans Peter Kammerer als Feuerfresser stehen ihr musikalisch und darstellerisch in nichts nach.

Der Erfolg des Werkes - es wird einer werden - liegt wohl darin begründet, dass Hiller den Kids nie musikalischen Schrott anbietet, sondern stilistisch ernst arbeitete. Paul Weigold sorgt mit dem Bühnenorchester der Wiener Staatsoper dafür, dass die Musik präsent ist, jedoch der Szene dient. Holztrommeln, Claves und Xylofon unterstreichen das Rhythmische der Marionette aus dem Pinienscheit, sind aber auch hilfreich bei der Umsetzung der von Chaplin-Fan Hiller versteckten Slapstick-Elemente.

Pinocchio wird eine große Fangemeinde gewinnen, die sich entführen lassen will in den Zustand, über den schon Strindberg sinnierte: "Alles wird möglich und wahrscheinlich." (DER STANDARD, Printausgabe, 15.4.2003)