Kieron (16) trägt eine Jacke von Fred Perry (links); Steven (17) eine Jacke von Lacoste (Mitte);
Jacob (16) eine Jacke von Stone Island (rechts).

Foto: Britta Burger

Elliot (17) in einer Jacke von Paul Smith und Jeans von Levi's.

Foto: Britta Burger

Andrew (16) in einer Jacke von One True Saxon, Sweatshirt Fila.

Foto: Britta Burger

Jay (17) in einer Lacoste-Jacke, Polo Lyle & Scott (links); Jack (16) Jacke von Adidas, Polo Lacoste (rechts).

Foto: Britta Burger

Ike (26) in einer Jacke von Fila, Jeans Levi's, Schuhe Adidas (links); Joe (24) in einer Jacke von Paul Smith, Jeans Levi's, Schuhe Björn Borg (rechts).

Foto: Britta Burger

425 Pfund hat sie gekostet. Anderthalb Meter roter Stoff des Begehrens, doch Elliot hat seine neue Jacke von Stone Island noch kein einziges Mal getragen. "Dieses Modell gibt es ganz selten. Es würde mich fertigmachen, wenn sie schmutzig würde!" Hier spricht kein Londoner Stylist oder Designer aus New York, der bei den Schauen dieser Welt in der ersten Reihe sitzt. Elliot ist 17, Fußballfan fürs Leben und aus Hull in Nordengland. Vor allem aber ist er Casual.

Casual, übersetzt: locker, zwanglos, steht in England seit den späten Siebziger Jahren für mehr als die Kunst, sich unangestrengt und doch smart in Schale zu werfen. Ein Casual ist die Edelversion des Fußballfans. Inszenieren sich deutsche oder österreichische Fans übertrieben leidenschaftlich in den Farben und Symbolen ihres Vereins, in Kutten und Schals, begannen britische Hooligans irgendwann genau mit dem Gegenteil. Sie versuchten als potenzielle Stressmacher "unlesbar" für die Polizei zu werden, indem sie sich in edle, europäische Markenkleidung hüllten. Ein Bilderbuch-Casual ist der, dem man seine stundenlange Zusammenstellung seines Outfits kaum ansieht: Poloshirt, Trainingsjacke, Turnschuhe, akkurate Kurzhaarfrisur. Nach außen hin könnte man ihn mit einem jungen Konservativen verwechseln, der gern beim Herrenausstatter seines Großvaters kauft, nicht aber mit einem grölenden Fußballfan. Doch inzwischen sind die Designer-Maskeraden längst auch Stadionwärtern und Polizei bekannt.

Marken wie Stone Island, sehr schlicht, sehr teuer, stehen bei gewissen Fußballspielen auf regelrechten roten Listen: Stone Island gleich Hooligan gleich Ärger. "Viele machen daraufhin beim Reingehen ins Stadion ihr Stone Island-Logo ab, wodurch man eben nur noch die beiden Knöpfe sieht. Doch Wärter erkennen inzwischen selbst das", sagt Andrew, Casual aus der Hafenstadt Ramsgate im östlichen Kent. "Dabei wollen die meisten von uns gar keinen Stress, sondern einfach nur unsere Outfits vorführen!"

Die Namen des Begehrens heißen Fila, Stone Island, Adidas, Pringle, Burberry, Ralph Lauren. Die größten Helden, die klein in den Stoff gestickt für großen Respekt sorgen, kommen aus der edlen Tenniswelt: Björn Borg, Sergio Tacchini, Fred Perry, Lacoste. Letzterer wurde für die unbarmherzig-geduldige Art seines Spiels "das Krokodil" genannt. "Der Casual-Stil aus den 80ern entstand damals viel zufälliger, natürlicher", glaubt Elliot aus Hull. "Heute ist es ein regelrechter Sport geworden, diesen Retro-Stil perfekt nachzuahmen und in noch etwas Einmaligeres zu steigern." An den Outfits eines Casuals gibt es keine Zufälle, alles ist Teil einer perfekten Inszenierung.

Labels statt Spieler

Passt die Fila-Trainingsjacke mit dem roten Streifen zu der Farbkombination der Adidas-Sambas? Und sollte das Lila des Lacoste Poloshirts mit dem Emblem des Baseballcaps harmonieren? Soziale Netzwerke wie Facebook werden dabei zur idealen Plattform. In den Dialogen geht es nicht mehr um den Lieblingsverein und Spieler, sondern um Labels und Schnäppchen. "Ich fahre mit meinen Kumpels oft nach Manchester. Zum Shoppen!", sagt Elliot mit breitem Grinsen. "Das wirkt Mädel-mäßig, macht aber viel Spaß!" Am großen Wiederaufleben des 80er-Jahre-Casual-Stils ist nicht zuletzt auch der Film The Firm beteiligt, ein Remake des Originals von 1988, der im vergangenen Jahr in den Kinos lief.

Die Geschichte über englische, perfekt angezogene Casual-Gangs wirkte zwar wie eine zweistündige Fila-Kampagne, doch hat eine Menge junger Briten nachhaltig beeinflusst: Sie kleiden sich haargenau wie ihre Leinwandhelden und gründen "Firmen", eher harmlose Gangs, mit wichtig klingenden Namen: "Blades Business Crew" oder "Youth City Cul-ture". In einer Szene im Film kommt der Gangchef Bex aus der Umkleide und trägt einen engen, quietschroten Fila-Anzug. Der Running-Gag des Films, dass man in diesem Anzug eigentlich aussieht wie ein roter Briefkasten, unterstreicht das Maß an eigenartiger Exzentrik, die der Casual-Stil ohne Zweifel hat. "Damals wollten Männer herausstechen, wie eitle Pfauen", sagte Regisseur Nick Love während der Premiere des Films in London. Die Exzentrik des Casual-Stils steckt im Detail.

So sind die Trainingsjacken immer ein bisschen schmaler als die normalen, die Farben ein bisschen hysterischer, in Rosa, Ketchup-Rot, Grasgrün, Gelb. Nicht Beckham war der erste Metrosexuelle, sondern die Causals. Und der Hang zum leicht Exzentrischen liegt in England ohnehin in der Familie. Schrille Tweeds, virtuose Kaschmir-Rautenmuster, verrückte Hüte beim Pferderennen Royal Ascot, die Briten lieben den Dreh innerhalb der Tradition. Erst kürzlich wurde Prince Charles in seinen Tweed-Jacketts von einem amerikanischen Magazin zu einem der bestangezogendsten Männer der Welt gewählt. Die Persönlichkeit, die sich auf der Insel ohnehin am exzentrischsten kleidet, ist die Queen. In ihrem trügerisch biederen, ewiggleichen Stil aus kastenartigen Kostümen, starrer Wellenfrisur und großen Brillen macht sie stets den Eindruck, als sei sie in einem seltsamen Fifties-Retrolook hängengeblieben.

Seit Elliots Fußballverein Hull City nach zwei Jahren in der Premierleague wieder abgestiegen ist, sieht Elliot auch ein bisschen den Glamour aus seinem Casual-Leben schwinden. "Die Begegnungen mit den großen Clubs waren die tollsten Momente. Denn auf so einem Niveau sieht man die fantastischsten Outfits, die richtig spektakulären Einzelstücke von Fila oder Lacoste, die man nicht einfach im Laden bekommt. Bei solchen Spielen geht es nur ums Sehen und Checken, was die anderen anhaben."

Jeden Tag ein anderes Outfit

In der Realität der heutigen Casuals wird ein fleckenloses, knitterfreies Outfit einem furchtlosen blauen Auge eher vorgezogen. "Meine Kleider sind teuer, und ich habe keine Lust, sie mir durch Stress und Schlägerei versauen zu lassen", sagt Elliot und wirft ein Blick auf seine hellrote Stone-Island-Errungenschaft. "Wenn ich auf ein Spiel gehe, bei dem ich schon vorher weiß, dass die Begegnung der beiden Klubs unangenehm werden wird, ziehe ich extra ein Zweite-Wahl-Outfit an." Ike aus London hat inzwischen dermaßen viele Trainingsjacken, Poloshirts und Turnschuhe im Schrank, dass er ohne Probleme mehrere Wochen jeden Tag in einem anderen Outfit aus dem Haus gehen könnte.

Der 26-Jährige ist ein perfekter Casual, zumindest von Kopf bis Fuß. "Mir geht es, ehrlich gesagt, nicht um die Kultur, sondern nur den Style. Ich sah die Casuals im Stadion und wollte aussehen wie sie." Das heißt: Eine Mischung aus Edel-Popper, alterndem Tennisspieler und Markenfetischist. Glücksmomente erleben Casuals bei Schlussverkäufen oder in Secondhandläden, wenn ihnen ein begehrtes Teil zum Schnäppchenpreis in die Hände fällt. "Erst neulich habe ich im Vintage-Laden ein tolles Fred-Perry-Poloshirt gefunden", sagt Ike triumphierend. "Für zwei Pfund!"

Um Ebay machen die meisten einen Bogen, denn da gerät man schnell an Fälschungen, doch im Gegensatz zu früher gibt es heute diverse Online-Anbieter, wie 80s Casual Classics, bei denen man sich die original Outfits penibel zusammenstellen kann. Wenn man denn ein bisschen Geld übrig oder gespart hat.

"Die Engländer behaupten ja, sie hätten den Fußball erfunden", sagt Ike aus London. "Seitdem verbinden andere Länder alles, was auch nur ansatzweise mit Fußball zu tun hat, mit uns." In Facebook-Gruppen diskutieren Casual-Fans und Nachahmer aus aller Welt und laden stolz ihre Fotos hoch. Kürzlich wurde herzlich über das Foto eines italienischen Casuals gelästert.

Er steckte von oben bis unten in Burberry. "Völlig over the top! Für englische, dezente Casuals wirkt so ein greller Aufzug wie ein Karnevalskostüm." (Julia Grosse, DER STANDARD, rondo, Juni 2010)