Foto: Martin Vesely

Anpackende Leidenschaft für Kunst: Alois Bernsteiner (hier vor einer Arbeit der Ausstellung "Manifest" von Thomas Feuerstein) ist seit den 1970er-Jahren mit dem Sammlervirus infiziert.

Foto: Martin Vesely

Am Dienstag eröffnet sein neuer Kunstraum.

"Hrdlicka war genau so, wie er sich vorgestellt hat, dass Stalin sein muss." So beschreibt Alois Bernsteiner den Mann, der ihn zur Kunst gebracht hat und der auch seine heute geschätzte 800 bis 1000 Werke umfassende Kunstsammlung mit zwei Kohlezeichnungen begründete.

Der heute 60-jährige Bernsteiner lernte Alfred Hrdlicka kennen als er – ein "Strawanzer" aus der Buckligen Welt, jung und pleite – beim Wirten gleich neben dem Atelier des Bildhauers aushalf. Hrdlicka hatte damals bereits an der Biennale Venedig teilgenommen, ein "gestandenes Mannsbild" , der sich von einem "jungen Naseweis, einer Rotzpiepn" über die Schulter schauen ließ:"Ich habe selber Steine aufgestemmt, um Elektroleitungen zu verlegen, aber beim Hrdlicka habe ich gesehen, dass Steine zu etwas anderem werden, eine Seele erhalten."

Und damit hatte Bernsteiner Blut geleckt:Viel Geld für Reisen hatte der Installateur und Elektriker in Ausbildung keines, und so fuhr er per Autostopp und Interrail "zu den ganzen großen, klassischen Museen": etwa zumPrado nach Madrid oder in die Eremitage nach St. Petersburg. "So habe ich ein Auge für Kunst entwickelt", resümiert Bernsteiner, der auch heute noch keine "echten" Urlaube macht, sondern seine wenige freie Zeit nutzt, um zur Messe nach Miami zu fahren oder zur Biennale in Istanbul. Viel gelernt hat Bernsteiner, der auch einige Jahre lang intensiv Motorradrennen fuhr, in den 1970er-Jahren aber auch an der Akademie der bildenden Künste: Zunächst hatte er nur Kontakt zu zwei Architekturstudenten;bald schon ging er am Schillerplatzein und aus: "Dort fanden wilde Debatten statt. So habe auch ich meine Ausbildung bekommen," schmunzelt er. Viele der Kunststudenten hätten in Bruchbuden gewohnt, mit Wasser am Gang, denen habe er mit seinem handwerklichen Können gut helfen können. Bedankt haben sich einige mit einer Arbeit.

Wie ein Tagebuch

"Sehr sanft" hat seine Sammlung in den 1970ern begonnen, betont der Kunstliebhaber; erst in den 1980ern wuchs sie schneller, und heute haben auch Frau und Tochter, die das Engagement Bernsteiners tatkräftig unterstützen, ein Wörtchen mitzureden. Einen bestimmten Fokus gibt es allerdings nicht:"Die Sammlung ist von Emotionen bestimmt, an jedem Stück heftet eine Geschichte. Sie ist wie ein Tagebuch."

An der Akademie hat der Kunstliebhaber später auch Muntean und Rosenblum kennengelernt. In deren Raum "Bricks & Kicks" Bernsteiner später – im Hintergrund – mitwirkte. Aus dem Schatten heraus trat Bernsteiner erst, als er musste: Nach zwei Ausstellungen, für die er 1997 im eigenen Wohnhaus in Simmering eine ganze Etage freiräumte, merkte er, dass es eine Ansprechperson braucht, um die Künstler zu vertreten. Damals begann auch seine "Karriere als Kunstvermittler". Gerne erinnert sich Bernsteiner an einen Mitarbeiter der MA48:Der habe auf zwei Jahresurlaube mit der Familie verzichtet, um ein Bild – es war von Nikolaus Granbacher – zu erwerben.

Marko Lulic, Iris Andraschek oder Ronald Kodritsch stellten in der sogenannten "Dependance Bernsteiner" aus; Uli Aigner war es, die die Eröffnungsausstellung bestritt: Ein Riesenansturm war das, erinnert sich Bernsteiner, der nur eine Stunde nach Beginn der Eröffnung feststellen musste, das auch jene Arbeiten Aigners, auf die er selbst ein Auge geworfen hatte, bereits verkauft waren.

"Die Zeit in Simmering draußen war sehr intensiv, denn dorthin kam niemand einfach nur so, um vorbeizuschauen, sondern die wollten alle Tacheles reden." Es gab sogar ein Kabinett als Rückzugsort für die Künstler, "wenn es zu wild wurde." Eine Künstlerin drohte damals allerdings nie wieder dort ausstellen zu wollen, weil man vor lauter Leuten die Kunst nicht mehr sehen konnte.

Ausgebrannt in Simmering

Mehr Platz war dann ab 2003 in einer 200 Quadratmeter großen Halle, ebenfalls in Simmering: "Ich habe mir für meine Arbeit eine Werkstatt bauen müssen, und ich wollte diese mit Esprit erfüllen." Was nur für ein Jahr geplant war, dauerte letztendlich 23 Monate:"Nach 26 Ausstellungen waren wir ausgebrannt." Was die Frequenz angeht, soll es im 130-m2-Hinterhaus der Schiffamtsgasse 11, wo heute, Dienstag, der neue Kunstraum Bernsteiner eröffnet, ruhiger zugehen. Etwa fünf Ausstellungen pro Jahr sind geplant.

2005 hat Bernsteiner den Hinterhof samt "Ruine" erworben; nun strahlt dort ein White Cube: "Das Dach war eingestürzt; die Renovierung aufwändiger als ein Neubau." Besonders am Raum ist das fortlaufende Raster an Fenstern und Türen, das sich an klassischen Fotoformaten orientiert. Ein Konzept von Künstler Martin Vesely, mit dem Bernsteiner auch das Ve.Sch, einen Projektraum in der Schikanedergasse begründete. "Jeden Rahmen der 600 Gläser hat Vesely eigenhändig geschweißt."

"Ein kompletter Neustart", den im Innenraum der Tiroler Künstler Thomas Feuerstein bestreitet: Er wird in verschiedenen Arbeiten Rationales und Mythisches aufeinandertreffen lassen. Budget? "Für die Kunst ist der Künstler zuständig, und für den Raum ich", antwortet Bernsteiner. "Es gibt nur Arbeit, kein Budget." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 08.06.2010)