Ob sie nun in Kindergärten, Kinderbetreuungseinrichtungen oder in Familien verwendet werden, der Bedarf an zweisprachigen Büchern wächst

Foto: sxc.hu

Weltweit wachsen weniger als ein Drittel der Menschen einsprachig auf. Das, was bis vor kurzem bei uns eine große Ausnahme darstellte, ist global gesehen Normalität: Schon in frühester Kindheit wird die Mehrzahl der Kinder weltweit mit Mehrsprachigkeit konfrontiert. Sie begleitet sie durch den Alltag und die schulische Ausbildung. Umso verwunderlicher ist es, dass bis vor kurzem eine zweisprachige Kindheit als Überforderung angesehen wurde. Und noch skurriler mutet der Umstand an, dass es zwar Kindergärten gibt, die Englischunterricht für Drei- bis Fünfjährige anbieten, die Förderung der Muttersprache bei Migrantenkindern aber noch immer nicht ganz unumstritten ist.

Wichtigkeit der Lesekompetenz

Unumstritten ist aber die Bedeutung, die Bilder- und altersgerechte Kinderbücher für die frühkindliche Sprachförderung spielen können. "Die Wichtigkeit der Lesekompetenz für die weitere kognitive Entwicklung eines Kinders steht außer Frage. Für Kinder mit Migrationshintergrund gilt all dies natürlich umso mehr: sowohl das Vorlesen als auch das eigenständige Lesen deutschsprachiger Texte fördert und begünstigt den Spracherwerbsprozess in Deutsch als Zweitsprache erheblich", betont Manuela Glaboniat vom Fachbereich Deutsch als Fremdsprache an der Universität Klagenfurt. Bücher in der Erstsprache des Kindes, bzw. zweisprachige Büche erfüllen eine zusätzliche Funktion, die insbesondere für jene Kinder wichtig ist, die nicht in ihrer, bisher "stärkeren" Muttersprache eingeschult werden. "Viele Schritte der natürlichen sprachlichen und kognitiven Entwicklung werden durch diesen Bruch und einseitige Konzentration auf die neue Sprache beeinträchtigt, die betroffenen Kindern können vieles in der Erstsprache nicht mehr und in der Zweitsprache noch nicht", erklärt Glaboniat. Um dieser sogenannten "Halbsprachigkeit" entgegenzuwirken, ist es besonders wichtig, Kindern auch in ihrer Erstsprache/Muttersprache vorzulesen, bzw. sie in dieser Sprache auch zu alphabetisieren und zum selbständigen Lesen anzuregen.

Gegen die Halbsprachigkeit

Angehörige der sogenannten Zweiten Generation, die selbst von der "Halbsprachigkeit" betroffen sind, laufen Gefahr, diese an ihre Kinder weiterzugeben. Auch in diesem Umfeld kann mehrsprachige Kinderliteratur gute Dienste leisten: "Beim Betrachten mehrsprachiger Bilderbücher innerhalb der Familien können Eltern wie Kinder von der Verwendung beider Sprachen profitieren. Es können Unterhaltungen zu Themenkreisen entstehen, denen sich das Kind vielleicht in seiner Erstsprache noch nie gewidmet hat", betont Iris Grassl, Kindergarten-und Hortpädagogin der MA 10/Wiener Kindergärten.

Die Verwendung und Verbreitung zweisprachiger Kinderbücher in Kindergärten kann vor allem für Kinder aus bildungsfernen Familien eine wichtige Stütze für die Festigung beider Sprachen und der Lesekompetenz sein. Wesentlich ist natürlich auch der ideale Wert dieser integrativen Geste: Sie bewirkt die Aufwertung der "anderen" Sprachen, die Erstsprache von Migrationskindern wird hier gleichwertig behandelt, so die Germanistin Glaboniat.

Von der Mehrsprachigkeit profitieren

Von den österreichischen Kindergärten kommt die Rückmeldung, dass „in der Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund zweisprachige Bilderbücher auch von Betreuungspersonen mit entsprechenden Sprachkenntnissen" verwendet werden. „Meist werden die Bücher auch an die Familien im Rahmen einer "Kinderbibliothek" verborgt, mit dem Ziel, die Bedeutung der Beschäftigung mit Büchern in den Familien anzuregen, so Hermine Zaunmair, Kindergarten- und Hortinspektorin für Oberösterreich.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre natürlich der lohnende Versuch, auch Kindern mit deutscher Muttersprache, die Möglichkeit zu geben, die Sprachen aus ihrer unmittelbaren Umgebung kennenzulernen. Türkisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch oder Russisch sind die Sprachen, die von den Kindern gesprochen werden, mit denen sie regelmäßig zusammen sind. Es spricht nichts dagegen auch einsprachig aufwachsende Kinder mit den mehrsprachigen Büchern bekannt zu machen, zumal sie diese Sprachen aktiv in ihrer Umgebung mit anderen Kindern verwenden können.

Der Bedarf wächst

Ob sie nun in Kindergärten, Kinderbetreuungseinrichtungen oder in Familien verwendet werden, der Bedarf an zweisprachigen Büchern wächst zusammen mit der Zahl der Kinder die neben Deutsch auch mit einer weiteren oder mehreren Sprachen aufwachsen. Auch von der offiziellen Stelle, dem österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur wurde der Bedarf an einschlägigen Informationen erkannt. Maria Dippelreiter vom BMUKK hat auf der Internetseite www.sprich-mit-mir.at vor vier Jahre eine, wie sie selbst sagt, "bei weitem nicht vollständige" Liste, von zwei- und mehrsprachigen Kinderbüchern zusammengestellt. Diese Informationen richten sich an KindergartenpädagogInnen, VolksschullehrerInnen und interessierte Eltern und wurde zusammengetragen, "weil es bisher nichts Ähnliches gab, und ich den Bedarf gesehen habe", sagt Dippelreiter. Besonders interessant ist die Zusammenstellung natürlich auch für Bildungsanstalten für KindergartenpädagogInnen, die sich vielleicht inspirieren lassen, Ähnliches selbst zu produzieren, hofft Dippelreiter. Ein Vorzeigeprojekt gibt es schon: Die Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik in Oberwart präsentierte im November 2005 das mehrsprachige Bilderbuch "Im Land der Kastanietten". Der Text wurde von SchülerInnen, LehrerInnen und unter Mithilfe des Romavereines in Oberwart von Deutsch auf Roman, Ungarisch und Kroatisch übersetzt.
Deutschland dominiert

Neben den Volksgruppensprachen sind es vor allem die Sprachen der österreichischen Migrantengruppen, die vermehrt auch in Bilder- und Kinderbüchern Einzug finden. Genau genommen kommt aber der Großteil dieser Bücher aus deutschen Verlagen. Hier entwickelt sich in den letzten Jahren ein wachsender Nischenmarkt: Kleine Verlage und Vereine wagen es, Bücher in den Muttersprachen der deutschen Migrantenkinder zu verlegen. Die Auswahl beschränkt sich allerdings noch auf wenige stärker präsente Sprachen. Außer Englisch-Deutschen Büchern sind es Türkisch- Deutsche und einige Spanisch-Deutsche. Vereinzelt sind auch Bücher in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch zu haben. (Olivera Stajić, daStandard.at, 16.6.2010)