Der "abgesicherte Kick" der Area47: Rutschen, Rampen, Kletterwände, Hochseilgarten und Seilsprung (bei der Brücke) - und warmes Duschwasser. Doch Häme ist fehl am Platz: Denn "extrem" ist subjektiv. Immer.

Foto: area47

"Das zweite Kletterseil", sagt Chris Nösig, "hat rein psychologische Funktion: Das erste ist noch nie gerissen." Denn, setzt der Outdoorguide fort, während er die Riemen des Klettergurtes straffzieht, "die Belastung ist minimal."

Auch wenn - eher: obwohl - das nicht so aussieht: Sich von einer in 30 Meter Höhe montierten Holzplattform ins Nichts fallen zu lassen gilt im Alltag ja nicht gerade als schlau. Dabei (wenn schon) anstatt ins Gummiseil, in ein Kletterseil zu fallen, erst recht nicht: Wie soll das gehen: freier Fall ins Seil - und "minimale Belastung"?

Doch der Trick beim Mega-Swing ist, dass man nicht lotrecht ins Seil kracht (potenziell: tödlich), sondern "hineinschwingt". Denn die Leine ist gut 15 Meter vom Absprungpunkt entfernt befestigt: Wer sich von der Plattform unter der Brücke der Ötztalstraße wirft, schwingt wie Tarzan an der Liane tatsächlich sanft dahin - und hört meist den eigenen Urschrei: Auch wenn der Kopf versteht, was der Guide mit "minimale Belastung" und "total sicher" meint, melden sich an der Kante Urinstinkte: "Da runterhüpfen? Gar! Keine! Gute! Idee!"

Bis vor kurzem stimmte das sogar. Denn Bergsteiger wie Teenies schätzten den Stunt als ebenso illegale wie unfallträchtige Mutprobe als "Brückensprung" von jeher: Alle mit Daumen-mal-Pi-Pendelkurvenberechnung. Die Kids meist mit zweifelhaftem Material. Doch als Mega-Swing ist die Übung sicher. Durchgerechnet. Geprüft. Tüv-zertifiziert. So, wie alles in der Area47.

Das schwört zumindest ihr Errichter, der Eventunternehmer Hans Neuner: "Das gefährlichste an der Area47 ist die Anreise mit dem Auto", erklärt der 54-jährige Exbobfahrer, der in den 80ern mit Bruno Pezzey begann, Menschen in Schlauchbooten Gebirgsbäche hinabpaddeln zu lassen.

Rafting hieß das damals. So wie heute - aber seit Mai hat Neuner sein Abenteuerportfolio deutlich erweitert. Am 47. Breitengrad, wo die Ötztaler Ache in den Inn mündet, hat er auf sieben Hektar (maßgeblich von den Söldener Bergbahnen finanziert) um 13,4 Millionen Euro einen "Abenteuerspielplatz für Erwachsene" errichtet. Hier gibt es neben Rafting und Mega-Swing, Kletter- und Hochseilgärten, geführte Canyoning- und Cavingtouren - und etliche (in Summe: 35) andere Outdooraktivitäten. Alle wirken spektakulär - etwa die 70-km/h-Wasserrutsche oder das Wasserdruckmenschenkatapult. Alle riechen nach Adrenalin. Und dennoch sind alle ungefährlich: "das abgesicherte Extremsporterlebnis", beschreibt es Neuners Marketingmann, Christian Schnöller.

Das äußert sich auch bei den Unterkünften am Areal: Blockhütten (je zwei Doppelzimmer) oder Tipis (bis zu sieben Personen). Die Duschen sind warm, das Frühstück im Restaurant und inklusive - und der eigene Campingkocher wird gar nicht gern gesehen.

Doch "echte" Survival-Spezialisten und Outdoor-Freaks will Neuner gar nicht ansprechen. Ihm geht es um den Boom-Markt der "Wannabes". Um Menschen, die abenteuerschnuppern wollen - denn "extrem", sagt schließlich sogar Reinhold Messner, "ist immer subjektiv: Das, was man sich selbst nicht zutrauen würde". Das kann auch der Sprung vom Dreimeterbrett sein - Spott und Häme sind da fehl am Platz.

"Sehnsucht nach Grenzerlebnissen", philosophiert Neuner, "kann sich nur eine Wohlstandsgesellschaft leisten: Die Menschheit musste sich immer gegen Feinde wehren oder gegen die Natur behaupten. Dass das heute nicht mehr so ist, ist ein Privileg - aber die Disposition, Gefahr erkennen und überwinden lernen zu wollen, kriegt man in einer Generation nicht aus den Genen." Doch neben dem "Thrill"-Wunsch hat der büroaktive Städter noch eine Sehnsucht. Die, nach der Garantie, zu überleben: "Ich will es am Montag erzählen können."

Anschaulich wird das 30 Meter über Grund - auf einem Skateboard im Hochseilgarten: Wer Höhe nicht gewohnt ist, spürt plötzlich sehr unmittelbar, dass ein bisserl Zivilisation zigtausend Jahre Evolution nicht so rasch ausbremst. Trotz doppelter Seilsicherung. Trotz des Wissen, dass kein Unternehmer seine eigenen Kunden absichtlich umbringt.

Oder traumatisieren will: Im "abgesicherten Abenteuer" gibt es für alle, deren Angst dann doch größer ist als der Wunsch, sie zu überwinden, ein "Exit"-Schild: den Weg zurück auf die Liegewiese am Badeteich. Zu Caffè Latte, Sonnencreme und Sicherheit. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Printausgabe/05.06.2010)