Die Gesamtschule für Kinder von 10 bis 14 Jahren sei eine "Gleichmacherei", sagt die Wiener ÖVP-Stadträtin Leeb, vielmehr findet sie "Leistung und Respekt zu schlecht beleumundet".

Foto: ÖVP Wien

Das Niveau der Wiener Schüler befinde sich im Sinkflug, moniert die ÖVP-Stadträtin Isabella Leeb. Im Gespräch mit derStandard.at fordert sie mehr Leistungsdenken, aber keine Rückkehr zur "Rohrstaberlpädagogik". Um Schulerfolge sicherzustellen, kann sie sich auch "Sanktionen über die Familienbeihilfe" vorstellen, von einer gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen hält sie hingegen nichts. Außerdem verriet sie Anita Zielina, wie die ÖVP im Wiener Wahlkampf reüssieren will, ohne durch Discos zu tingeln.

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derStandard.at: Folgendes habe ich von Ihrer Homepage, aus dem Wordrap: "Das letzte Mal traurig war ich, als ich feststellen musste, dass ein Wiener Hauptschulabgänger nicht sinnerfassend lesen konnte." Denken Sie das war ein Einzelfall?

Leeb: Ich weiß aus Erfahrung, dass es kein Einzelfall ist. Ich bin Unternehmerin und habe mich immer sehr stark um Lehrlingsausbildung gekümmert. Leider ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Niveau der Pflichtschulabgänger in Wien stark gesunken. Vor vier oder fünf Jahren war bei den jungen Menschen in meiner Firma, die sich um eine Lehrstelle bewerben, der erste dabei, der nicht mal sinnerfassend lesen konnte. Und diese Fälle werden mehr.

derStandard.at: Was läuft falsch?

Leeb: Wo soll ich anfangen? Der gesamte Pflichtschulbereich in Wien liegt im Argen. Das beginnt im Kindergarten und endet in den Berufsschulen. Defizite ziehen sich vom Bildungswesen bis in den Arbeitsmarkt. Ein Teil des Problem ist natürlich, dass es immer mehr Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache gibt, die teilweise dem Unterricht nicht folgen können. Es wurde total verabsäumt da gegenzusteuern.

derStandard.at: Wie kann man gegensteuern?

Leeb: Kinder möglichst früh so weit bringen, dass sie dem Unterricht folgen können. Es ist zwar im vergangenen Jahr eine Sprachstandsfeststellung eingeführt worden, aber das war zehn Jahre zu spät. Und sie findet auch zu spät statt, ein halbes Jahr vor Schulbeginn - was soll man in sechs Monaten noch ausgleichen? Je früher man mit der Förderung anfängt, desto besser.

derStandard.at: Bei Förderung stellt sich auch immer die Frage: Wie viel Druck muss dabei sein, damit diese in Anspruch genommen wird?

Leeb: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es in manchen Fällen ohne Druck nicht gehen wird.

derStandard.at: Was bedeutet Druck? Sanktionen?

Leeb: Ja. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Sanktionen über die Familienbeihilfe laufen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Mutter-Kind-Pass wieder ausgeweitet wird, man daran Förderungen knüpft, die man eben nicht bekommt, wenn man die Termine nicht einhält.

derStandard.at: Viele werden jetzt darauf antworten, dass die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen eine Lösung ist.

Leeb: Was ist das bitte für eine Lösung? Das ist gar keine Lösung. Unterschiedliche Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse, ich halte gar nichts von Gleichmacherei. Der einzige Ausweg ist, die Bildungsstandards einzuhalten.

Und noch einem Thema müssen wir uns widmen: Man muss einfach auch wieder über Leistung sprechen können. Wir gaukeln unseren Kindern vor, dass es vollkommen egal ist, wer was wie tut, sie werden dann irgendwann einmal sowieso von einem Netz aufgefangen. Aber das ist, bitte schön, nicht die Realität.

derStandard.at: Würden Sie Leistung stärker belohnen oder verfehlte Leistung sanktionieren? Sollen Lehrer mehr Möglichkeiten dazu bekommen?

Leeb: Ja, auch das. Es gibt eine große Grauzone zwischen Rohrstaberlpädagogik und Laissez-Faire. Wir dürfen nicht in Ersteres zurückfallen. Aber momentan habe ich schon den Eindruck, dass Leistung und Respekt zu schlecht beleumundet sind. Das muss in der Schule vermittelt werden.

derStandard.at: Sind die Schulen zu sehr auf die Laissez-faire-Seite gerückt?

Leeb: Ja, auf jeden Fall.

derStandard.at: Immer wieder kommt die Klage, dass Jugendliche politikverdrossen und uninteressiert sind. Stimmt das Ihrer Ansicht nach?

Leeb: Nein. Ich bin sehr viel unterwegs, Jugendliche sind nicht mehr und nicht weniger politikverdrossen als andere Bevölkerungsschichten.

derStandard.at: Damit würden Sie aber dem Einwand widersprechen, der immer wieder von den Großparteien kommt, dass nämlich Jugendliche nur deshalb FPÖ wählen, weil sie politikverdrossen sind und protestieren wollen.

Leeb: Wie vorhin schon gesagt, eine stärkere Enttäuschung über Politik kann ich bei Jüngeren nicht erkennen. Im Burgenland etwa hat die JVP einen sensationellen Wahlkampf geführt und ihren Kandidaten in den Landtag gehievt.

derStandard.at: Aber bleiben wir mal in Wien, da sieht es nicht so rosig für Sie aus.

Leeb: Da war seit Jahren keine Wahl, das kann man schwer vergleichen. Aber ich kann es mir jedenfalls nicht erklären. Wichtig ist, dass man die Kommunikation mit den Jugendlichen nicht abreißen lässt.

derStandard.at: Das setzt voraus, dass diese Kommunikation mal bestanden hat bzw. besteht - ist die ÖVP Wien genug ins Gespräch mit Jugendlichen eingetreten?

Leeb: Absolut, es gibt tolle Veranstaltungen und Treffen, die jungen Leute sind da sehr offen.

derStandard.at: Gerade junge, männliche Lehrlinge haben bei der Nationalratswahl in Wien FPÖ gewählt. Gibt es von Ihrer Seite besondere Strategien, an diese Gruppe heranzukommen? Michael Häupl hat ja angekündigt, in jede Wiener Berufsschule gehen zu wollen

Leeb: Das halt ich für wenig authentisch. Genauso, wie wenn HC Strache in Wiener Discos vorgibt, die Jugendlichen über Politik aufklären zu wollen - ich habe aber eher den Eindruck, dass er über die Politik Jugendliche aufreißen will, wenn ich mir seine Begleiterinnen so anschaue. Und Gratisdrinks verteilen ist immer noch keine Politik. Von der SPÖ Wien weiß ich, dass sie das Feld der Berufsschulen ganz massiv beackern wollen, aber ob ein grantiger alter Mann da der richtige dazu ist? Wichtig ist, auf Jugendliche offen und ehrlich zuzugehen und sich der Diskussion zu stellen.

derStandard.at: Sie werden also nicht durch die Discos tingeln?

Leeb: Nein, das mache ich sicher nicht, das würde auch nicht zu mir passen.

derStandard.at: Was ist Ihr Rezept, damit die ÖVP nicht beim vielzitierten "Kampf" zwischen SPÖ und FPÖ zerrieben wird?

Leeb: Man kann nur durch Sachlichkeit auffallen in diesem Kampf. Das ist jetzt einmal ein Kampf, der von den Testosteronbombern ausgerufen wurde, und ich bin mir noch nicht sicher, wer am Ende tiefer liegt in der Tonalität. Wir sind die wählbare, konstruktive Mitte und haben Lösungsansätze für die Zukunft, und so werden wir auch auftreten. Wir wissen wie's geht. (derStandard.at, 7.6.2010)