US-Ökonom Fred Bergsten: "Deutschland und Österreich müssen höhere Lohnabschlüsse zulassen."

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C. Fred Bergsten, führender US-Experte für internationale Wirtschaftspolitik, fürchtet, dass der schwache Euro die globalen Ungleichgewichte weiter verschärft. Eric Frey sprach in Washington mit ihm.

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STANDARD: Viele amerikanische Ökonomen und Analysten halten die Zukunft des Euro für gefährdet. Teilen Sie diese Sorge?

Bergsten: Ich bin einer der wenigen prominenten amerikanischen Stimmen, die den Euro von Anfang an unterstützt haben. Aber ich bin auch davon ausgegangen, dass auf den Euro weitere Integrationsschritte folgen werden. Das ist leider ausgeblieben. Europa hat eine Währungsunion, aber keine Wirtschaftsunion geschaffen. Das war eine halbe Sache, deren Schwäche durch die Krise offensichtlich geworden ist. Nun aber ist eine weitere Integration unabdingbar geworden.

STANDARD: War das Euro-Rettungspaket im Mai der richtige Schritt?

Bergsten: Vom Ergebnis her ja, aber die Art, wie die Entscheidung zustande kam, hat nicht viel Vertrauen geschaffen. Die Schlüsselfrage ist, ob Europa aus der Krise lernt oder aber der Konsens für eine gemeinsame Politik verlorengeht. Ich persönlich bin zuversichtlich, aber die Märkte haben jeden Grund, unsicher und nervös zu sein.

STANDARD: Wie viel Souveränität müssen die Euroländer denn noch aufgeben?

Bergsten: Auf die eigene Geld- und Zinspolitik haben sie schon verzichtet, und nun erwarte ich mir Ähnliches in der Fiskalpolitik. Das muss nicht die EU-Kommission koordinieren, sondern vielleicht neue Institutionen. Aber Bereiche wie Arbeitsmarktpolitik würden bei den Staaten bleiben.

STANDARD: In Europa werden vielerorts die Finanzmärkte für die Krise verantwortlich gemacht. Ist das berechtigt?

Bergsten: Spekulanten verschärfen eine Krise, aber sie verursachen sie nicht. Im Gegenteil: Spekulation ist nützlich, weil sie auf die Probleme aufmerksam macht und Korrekturen erzwingt, die sonst nicht geschehen würden.

STANDARD: Sie sind stets dafür eingetreten, dass der Euro gleichwertig mit dem Dollar als internationale Reservewährung dienen soll. Ist das noch realistisch?

Bergsten: Das wird sich vielleicht verzögern. Aber wenn die Europäer jetzt die Integration festigen, dann wird der Euro in drei oder fünf Jahren viel stärker sein. Und wenn die USAihre eigenen Probleme nicht in den Griff bekommen, dann könnte sich das Blatt schnell wieder wenden.

STANDARD: Wollen die USA überhaupt einen starken Euro?

Bergsten: Von seinem fundamentalen Wert her war ein Eurokurs von etwa 1,50 Dollar angemessen. Die jetzige Euro-Abwertung ist für die USA ein Problem, denn sie führt dazu, dass die Exporte vor allem aus Deutschland weiter steigen und die Eurozone wieder große Leistungsbilanzüberschüsse anhäuft. Dann wächst das US-Defizit und damit unsere Verwundbarkeit. Das könnte in Washington eine protektionistische Reaktion hervorrufen und die transatlantischen Beziehungen schwer belasten.

STANDARD: Wie lässt sich das am besten verhindern?

Bergsten: Überschussstaaten wie Deutschland, die Niederlande und auch Österreich müssten ihre Binnennachfrage stärken. Sie müssten höhere Lohnabschlüsse zulassen. Wenn sie das nicht tun, dann hat der Rest der Welt Probleme.

STANDARD: Aber dann klagen vor allem die Klein- und Mittelbetriebe, dass sie an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Bergsten: Die KMUs werden dann keinen Schaden erleiden, wenn eine stärkere Binnennachfrage den Rückgang der Exporte auffängt. Aber die wirtschaftlichen Strukturen müssen sich ändern, und das ist vor allem in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren kaum geschehen. Die Deutschen halten an traditioneller Industrie fest und vernachlässigen die Dienstleistungen. Das trägt zu den massiven Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft bei. Das Gleiche gilt übrigens für China.

STANDARD: Also müssen die Chinesen ihre Politik ändern?

Bergsten: Ja, aber auch die USA. Solange wir als "Consumers of last resort" alle Exporte aufnehmen, werden die anderen dies nützen. Erst wenn wir unsere Politik glaubhaft ändern, werden es auch die anderen tun. Vor allem müssen wir die Überbewertung des Dollar beenden. Obama will in fünf Jahren die US-Exporte verdoppeln, aber mit einem starken Dollar kann das nicht gelingen.

STANDARD: Das betrifft doch vor allem die chinesische Währung.

Bergsten: Ja, denn an den Yuan sind weitere asiatische Währungen gekoppelt. Die künstliche Unterbewertung einer Währung ist eine protektionistische Maßnahme. Wäre der Yuan um 20 Prozent fester, dann hätten wir bis zu 150 Milliarden Dollar weniger Leistungsbilanzdefizit im Jahr. Wenn sie bis zum G-20-Gipfel in Toronto Ende Juni nicht handeln, dann müssen wir Härte zeigen und Strafzölle auf ihre Waren einführen. Ich hoffe, das wird nicht notwendig sein, aber wenn China so weitermacht, dann steigen seine Währungsreserven auf drei Billionen Dollar, und das gefährdet die gesamte Weltwirtschaft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.6.2010)