Wien - Die langfristige Finanzierung der Gebietskrankenkassen ist nicht gesichert. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktueller Bericht der Expertengruppe zur Verwaltungsreform, der am kommenden Mittwoch vorgelegt wird. ÖVP-Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka fordert Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) daher auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern einheitliche Tarifsysteme zu entwickeln. Der Bericht zeige, "dass es ein Potenzial von mehreren 100 Millionen Euro gibt, das man sinnvollerweise nutzen müsste, ohne dass notwendige Leistungen gekürzt werden", sagt Lopatka.

Kritik an Sonderkassen für Beamte

Die 19 großen Krankenversicherungsträger haben im Vorjahr erstmals seit 2005 wieder einen Überschuss erzielt. Dies war allerdings nur "aufgrund von Einmaleffekten" möglich, etwa der Auflösung des Katastrophenfonds, heißt es im Expertenbericht: "Die langfristige Finanzierung der GKK ist nicht gewährleistet, weil die Ausgaben in den nächsten Jahren die Einnahmen deutlich übersteigen werden." Für heuer erwarten die Kassen bereits wieder ein Defizit von 19 Millionen Euro. Der Bericht von Rechnungshof, Wifo und IHS kritisiert unter anderem "erhebliche Unterschiede bei den Tarifen" der großen Gebietskrankenkassen sowie teure Sonderkassen für Landes- und Gemeindebeamte.

Ausgaben wachsen stärker als Einnahmen

Verantwortlich für die "Überschuldung" der neun Gebietskrankenkassen ist demnach vor allem, dass die Ausgaben seit 1998 deutlich stärker gewachsen sind (um 50,3 Prozent) als die Einnahmen der Kassen, die nur um 47,3 Prozent zugelegt haben. Außerdem kritisiert der Bericht das inflexible Dienstrecht der Kassen (z.B. fehlende Versetzungsmöglichkeiten), ungenügende Kooperationen im IT-Bereich sowie intransparente Preis- und Tarifgestaltung. So kostet eine Mammografie in Wien 76 Euro, in Oberösterreich aber 54 Euro.

Lopatka: Stöger soll Reformen umsetzen

Lopatka fordert Gesundheitsminister Stöger auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern Reformen umzusetzen. Anzustreben wären beispielsweise einheitliche Standards für die Abrechnung ärztlicher Leistungen. Außerdem gebe es starke regionale Unterschiede: So zeigt der Bericht, dass die Ausgaben für Heilmittel pro Versichertem bei der Wiener Gebietskrankenkasse zwischen 1993 und 2006 um 148,4 Prozent gestiegen sind, bei der oberösterreichischen aber nur um 121,7 Prozent.

Hinterfragt werden sollte aus Lopatkas Sicht auch die Existenzberechtigung der 16 "Krankenfürsorgeeinrichtungen" (KFA) für Landes- und Gemeindemitarbeiter. Deren Tarife liegen laut Expertenbericht um durchschnittlich zehn Prozent über jenen der Beamtenversicherung (BVA). Die Krankenfürsorge für Linzer Stadtbeamte zahlt den Zahnärzten sogar um 30 Prozent höhere Honorare.

Spapotenziale bei Gipfel diskutieren

Inklusive den KFAs gibt es in Österreich übrigens 35 Krankenversicherungsträger: "Ob die 35 Träger die bestmögliche Variante sind, das ist zumindest zu diskutieren", betont Lopatka. Anzustreben seien zumindest Harmonisierungen bei Leistungen und Tarifen sowie gemeinsame Verhandlungen "und dort, wo es möglich ist, weitere Zusammenlegungen". Lopatka: "Wenn man weiß, dass diese Verwaltungen nebeneinander wenig Sinn machen, warum soll man sie aufrechterhalten?"

Den von Wifo-Chef Karl Aiginger vorgeschlagenen Gipfel von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialpartnern zur Verwaltungsreform unterstützt Lopatka. "Wir brauchen im Herbst alle an einem Tisch", so der Staatssekretär. Das werde sicher mehrere Tage dauern - ob das nun Konvent, Konklave oder anders heiße, sei nicht entscheidend.

Kräuter findet Lopatka "außer Rand und Band"

Mit all diesen Forderungen handelte sich Lopatka umgehend scharfe Kritik ein. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter kritisierte Lopatkas Ausführungen scharf. Dieser sei "endgültig außer Rand und Band geraten". Lopatka kritisiere die von Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) und Stöger "gemeinsam definierten Sanierungsziele der Krankenkassen für das Jahr 2010 in Grund und Boden". Bereits im Jänner hätten Stöger und Pröll den Konsolidierungskurs für die Krankenkassen für die nächsten Jahre abgesegnet. Die Sozialversicherungsträger hätten sich bekanntlich verpflichtet, Kostendämpfungen zu erreichen.

Hauptverband: "Sind nicht die Schmuddelkinder"

Auch die Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Ingrid Reischl, mahnte von Lopatka mehr Sachlichkeit
ein. So hätten die Gebietskrankenkassen bereits ein striktes Konsolidierungsprogramm mit konkreten Finanzzielen bis 2013 beschlossen. Der Anteil der Verwaltungskosten sei seit dem Jahr 2000 deutlich gesenkt worden und liege nur mehr bei 2,5 Prozent. Die Gebietskrankenkassen seien nicht die "Schmuddelkinder" sondern die "Musterknaben" im Gesundheitssystem, sagte Reischl in einer Aussendung. (APA/red, derStandard.at, 6.6.2010)