Der Top-Job der Woche in Deutschland ist praktisch vergeben, und das politische Berlin atmet hörbar auf. Horst Köhler? War da was? Am Montag erst hat der bis dahin amtierende Bundespräsident Deutschland im Stich gelassen, am Ende der Woche ist sein überraschender Rückzug fast schon Geschichte. Der König ist tot, es lebe der König.

Dennoch: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hätte diese Woche gerne anders erlebt. Sie ist seit Monaten angeschlagen, daheim und in Europa. Die EU-Partner werfen ihr mehr oder weniger offen vor, bei der Bewältigung der Griechenland-Krise viel zu lange gezögert zu haben, auch ihr Schlingerkurs bei der Transaktionssteuer ist dem restlichen Europa nicht verborgen geblieben.

In Berlin ist alles noch viel schlimmer: Die einst so heißersehnte schwarz-gelbe Koalition liegt derart am Boden, dass alle zwei Wochen der Neustart ausgerufen werden muss. Es gibt kein gemeinsames Projekt, die Tage sind gefüllt mit Streit. In Nordrhein-Westfalen wurde eine Koalition gleicher Couleur gleich abgewählt.

Schön wäre es gewesen, in dieser schwierigen Situation bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten einen Befreiungsschlag zu setzen. Es ist Merkel nicht gelungen. Christian Wulff, sicherlich ein ehrenhafter Politiker, ist so farblos wie die Muscheln, die die Nordsee täglich an Niedersachsens Küste spült. Das Beste, was man über ihn sagen kann, ist: Er hat noch nicht viel falsch gemacht.

Kein Wunder, dass SPD und Grüne vor Stolz fast platzen. Ihnen ist mit der Nominierung des DDR-Bürgerrechtlers Joachim Gauck ein Coup gelungen. Sogar Welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung, nicht eben Medien, die der Kumpanei mit Rot-Grün verdächtig sind, loben Gauck über die Maßen. Und man hat sogar dazugelernt: Diesmal präsentieren SPD und Grüne einen Kandidaten, für den sich keine einzige Stimme bei der Linkspartei finden wird. Das war anders, als Gesine Schwan kandidierte.

Wulff also sieht im Vergleich zu Gauck noch blasser aus, aber sei's drum. Er ist nominiert, Merkel kann den heiklen Punkt in ihrer Agenda abhaken - auch wenn sie sich noch längere Zeit grämen dürfte, dass "ihre" Ursula von der Leyen (CDU) im Arbeitsministerium bleiben muss. Das Wochenende hält jetzt für die Kanzlerin eine Aufgabe bereit, die noch mühsamer ist: Sie heißt Haushalt 2011 beziehungsweise Sparpaket und wäre eine Möglichkeit für einen wirklichen Neubeginn.

Die Chancen standen vor der Klausur nicht so schlecht. Freiwillig meldeten sich Minister (Familie, Gesundheit, Verteidigung) und erklärten, bei ihnen könne man sparen. Das ist ungewöhnlich. Jetzt allerdings muss aus diesem Sammelsurium an Vorschlägen eine gemeinsame schwarz-gelbe Linie werden. Nur dort zu kürzen, wo es politisch am wenigsten wehtut, wäre der falsche Weg. Angesichts der dramatischen Neuverschuldung darf es keine Zeit für Denkverbote geben. Die Bürgerinnen und Bürger ahnen schon längst, dass man ihnen etwas wegnehmen wird. An das FDP-Märchen von der Steuersenkung glaubt ohnehin keiner mehr.

Horst Köhlers Nominierung 2004 war ein Signal, damit wurde die Wende zu Schwarz-Gelb eingeleitet. Nutzt Merkel ihre Chance bei der Sparklausur nicht, dann wird die fantasielose Nominierung Wulffs genauso ein Vorbote sein: allerdings für das Ende von Schwarz-Gelb. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2010)