"Ob ich geliebt werde, weiß ich nicht, anerkannt bin ich": Dwora Stein schaffte es in der Gewerkschaft der Privatangestellten Druck, Journalismus, Papier (GPA-DJP) nach oben - nicht ohne Widerstand.

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Standard: Der neue Frauenbericht prangert unter anderem die Benachteiligung von Frauen in Politik und Wirtschaft an. Erkennen Sie die Gewerkschaft darin wieder?

Stein: "Meine" Gewerkschaft nehme ich da ein Stück aus. Die GPA hatte bereits eine Vorsitzende, und es gibt eine Quotenregelung, die gelebt wird. In allen Gremien müssen Frauen gemäß ihrem Mitgliederanteil vertreten sein.

Standard: Dennoch sind alle Teilgewerkschaften in männlicher Hand - wirkt wie ein Machoverein.

Stein: Die sieben Männer an der Spitze kann man nicht wegdiskutieren, das will ich nicht verteidigen. In Branchen wie der Metall-industrie gibt es natürlich wenige Frauen, aber auch dort könnte man mehr tun, um diese in Führungsetagen zu verankern. Alle Gewerkschaften sollten die Quotenregelung umsetzen, im ÖGB-Kongress beschlossen ist sie ja.

Standard: Wo fehlen Quoten noch?

Stein: In vielen politischen Gremien, aber auch in der Privatwirtschaft. Die Aufsichtsräte und Vorstände der großen und börsennotierten Unternehmen sollen zur Hälfte mit Frauen besetzt werden. Ich bin für eine gesetzliche Quote und auch für Strafen. Was sich derzeit abspielt, ist eine unglaubliche Ressourcenvergeudung. Die immer gleichen Männer sitzen in zehn bis 15 Aufsichtsräten, da bleibt auch die Qualität auf der Strecke.

Standard: Wie haben Sie es als "Exotin" nach oben geschafft?

Stein: Eine außergewöhnliche Herausforderung war das schon. Ich begann meine Karriere als, wie es so schön hieß, erster "weiblicher Sekretär" in der Steiermark - die Endung "-in" gab's nicht. Ich erinnere mich an den Anruf eines Betriebsrats: "Pupperl, ich brauch eine Rechtsauskunft." Mein Erfolgsrezept: Diese Dinge nicht an sich herankommen lassen, dazu ein gewisser Perfektionsdrang.

Standard: Muss sich eine Frau stärker reinknien?

Stein: Davon bin ich überzeugt. Es wurde sehr genau geschaut, ob ich auf die Nase falle.

Standard: Könnten Sie heute GPA-Chefin werden?

Stein: Die Funktion ist derzeit gut besetzt. Aber ich bin mir sicher, dass das möglich wäre.

Standard: Ganz ohne "männliche Kompetenzen" wie Biertrinken mit Betriebsräten?

Stein: Ja, das war nie mein Arbeitsmodell. Ob ich geliebt werde, weiß ich nicht, anerkannt bin ich. Das Problem ist die österreichische Mentalität, die Frauen traditionell als Dazuverdienerinnen abstempelt. Es gibt heute zwar mehr weibliche Erwerbstätige, aber ihr Arbeitsvolumen ist von 1999 bis 2009 nicht gestiegen.

Standard: Fördert die Gewerkschaft nicht selbst den Pay-Gap zwischen Männern und Frauen, indem die Kollektivverträge Besserverdiener bevorzugen?

Stein: Das stimmt so nicht. Wir handeln oft Erhöhungen mit Sockelbeträgen aus, von denen untere Einkommen überproportional profitieren. Es gibt auch viele Kollektivverträge, die Karenzzeiten anrechnen, hohe Anfängergehälter und flache Kurven zum Berufsende hin vorsehen. Manches scheitert aber an Arbeitgebern, die niedrige Einstiegslöhne wollen. Dass Betriebe nun verpflichtet werden, Einkommen transparent zu machen, ist ein gewaltiger Fortschritt. Ich will das in der GPA-DJP ausprobieren.

Standard: Betriebsräte kennen die Gehälter und könnten längst gegen Diskriminierungen vorgehen.

Stein: Sie wären schlecht beraten, etwas gegen den Willen von Betroffenen zu tun, und bei hoher Arbeitslosigkeit muss man erst jemanden finden, der Ansprüche geltend macht. Es gibt aber schon Erfolge von Betriebsräten - etwa bei Interspar, wo Arbeitnehmerinnen falsch eingestuft wurden.

Standard: Haben Sie sich Ihre Freiräume als junge Frau selbst erkämpfen müssen?

Stein: Schon, auch vor dem Hintergrund der traumatischen Erlebnisse meiner jüdischen Familie, die aufgrund ihrer Verfolgungsgeschichte Kontakt zu nicht jüdischen Menschen scheute. Liebesbeziehungen mit nichtjüdischen Partnern waren für meinen Vater, einen ausgebildeten Rabbiner, eine Katastrophe. Das war ein heftiger Kampf, auch über den Umweg einer nicht gewollten Ehe. Anders war es für mich als 19-Jährige unmöglich, das Elternhaus zu verlassen. Diese erste Ehe ist gescheitert, meinen jetzigen Mann hat mein Vater nie kennengelernt, weil er eben kein Jude ist.

Standard: Was haben Sie vom Elternhaus mitbekommen?

Stein: Dass es wichtig ist, sich weiterzubilden, auf eigenen Füßen zu stehen. Aber das war doppelbödig, weil mein Vater der Meinung war, dass am Ende der Mann bestimmt, wo's langgeht. Der wichtigste Erziehungsschritt war, dass ich früh lesen gelernt habe. Mitbekommen habe ich auch politisches Engagement. Mein Vater war SP-Mitglied, hat sich aber enttäuscht abgewandt, als Bruno Kreisky Israels Ministerpräsidenten Menachem Begin, dessen Anhänger mein Vater eigentlich nicht war, einen "miesen Ostjuden" genannt hat.

Standard: Wie kamen Sie zur SPÖ?

Stein: Indem ich bei der Jobsuche nach dem Studium jemanden um Rat gefragt habe, der in einem Ministerium beschäftigt war. Seine erste Frage lautete nicht, was ich kann oder möchte, sondern ob ich Mitglied einer Partei bin - das wäre nämlich ganz gut. Diesen Rat habe ich befolgt, gegen den Strich konnte ich nicht Fuß fassen. Und wenn schon, dann war immer klar, dass es die SPÖ sein würde.

Standard: Erkennen Sie in der Regierungspolitik sozialdemokratische Handschrift wieder?

Stein: Schon.

Standard: Obwohl gerade ein Sparpaket für Pensionen, Soziales, Familien geschnürt wird?

Stein: Ich möchte mir nicht ausmalen, wie dies ohne SPÖ in der Regierung aussähe. Es ist unbestritten, dass das Budget konsolidiert werden muss. Doch manche wollen diesen Vorwand nutzen, um den Sozialstaat zu demontieren. Bei massiven Einschnitten in die Sozialleistungen, Bildung und Pensionen wird die Gewerkschaft nicht mitgehen.

Standard: Liefert nicht gerade die Gewerkschaft Munition, indem sie Privilegien wie die Hacklerregelung verteidigt, die ein höheres Pensionsalter hintertreibt und damit das Pensionssystem gefährdet?

Stein: Bei 305.000 Arbeitslosen ist es müßig, über die Anhebung des Pensionsalters zu reden. Damit verschiebt man das Problem nur auf den Arbeitsmarkt. Viele große Unternehmen, deren Chefs fordern, dass alle länger arbeiten sollen, schicken ihre Leute überdies mit 55 in den Vorruhestand. Da ist viel Verlogenheit dabei.

Standard: Verlogen ist aber auch das Wort "Hacklerregelung", diese hilft gutsituierten Angestellten.

Stein: Die höchste ASVG-Pension liegt bei 2500 Euro brutto, das sind nicht die Privilegierten im Land. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.6.2010)