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Der britische Marktführer Prudential gab am Mittwoch seine Pläne für den Kauf des AIG-Asiengeschäfts auf.

Foto: APA/EPA/Chris Young

London/München/Hongkong - Gestartet ist er vor acht Monaten mit Volldampf. Der 47-jährige, charismatische Tidjane Thiam wollte den größten britischen Versicherer Prudential verändern. Und legte in kürzester Zeit Pläne dafür vor: Der in Westafrika an der Elfenbeinküste geborene Vorstandschef schmiedete eine gigantische Übernahme - für 35,5 Mrd. Dollar (29,1 Mrd. Euro) sollte das lukrative Asiengeschäft des in der Finanzkrise gestrauchelten US-Konzerns AIG erworben werden. Es wäre die größte Übernahme in der Branche gewesen. Doch am Mittwoch scheiterte sie endgültig.

Der britische Marktführer Prudential gab am Mittwoch seine Pläne für den Kauf des AIG-Asiengeschäfts auf. Zurück bleiben nach der dreimonatigen Hängepartie Verlierer auf beiden Seiten: Prudential und ganz besonders Vorstandschef Thiam stehen vor einer ungewissen Zukunft. Eine Zerschlagung des Konzerns gilt nicht mehr als ausgeschlossen. Und AIG fehlen plötzlich Milliarden, die der in der Finanzkrise gestrauchelte Konzern eigentlich zur Rückzahlung von Staatshilfen eingeplant hatte.

"Wir haben den Aktionären zum Preis sehr genau zugehört und eine Neuverhandlung der Bedingungen mit AIG eingeleitet. Leider war es nicht möglich, eine Einigung zu erzielen", sagte Prudential-Chairman Harvey McGrath. "Wir ziehen uns deswegen von der Transaktion zurück." Der Schritt war spätestens seit Dienstag erwartet worden, als AIG das neue Angebot von 30,4 Mrd. Dollar abgelehnt und auf den ursprünglichen Preis von 35,5 Mrd. Dollar bestanden hatte.

Der Druck der Aktionäre hatte Prudential dazu gezwungen, das Paket noch einmal aufzuschnüren. Sonst hätte eine bittere Niederlage beim Aktionärstreffen in der kommenden Woche gedroht. Der Prudential-Aktienkurs hatte zuletzt immer wieder an Wert eingebüßt. Kritiker sprachen von einem zu hohen Preis und vielen potenziellen Schwierigkeiten bei der Integration. Der Rückzug sei im Interesse der Aktionäre, hieß es nun.

Thiam trifft daran vermutlich die Hauptschuld, er scheint die Kritik vieler Aktionäre unterschätzt zu haben - und könnte nun darüber stolpern. Es wäre ein klarer Bruch in seiner sonst überaus erfolgreichen und in der konservativen Branche völlig ungewöhnlichen Karriere. Der erste schwarze Vorstandschef bei einem Top-Konzern auf der Insel ist französischsprachig und diente in den 1990er Jahren, bis zu einem Putsch des Militärs, als Minister in seinem Heimatland.

Aufgewachsen ist der große und stets akkurat gekleidete Thiam in Marokko und Frankreich, wo er später auch Eliteuniversitäten besuchte. Seine Karriere startete bei der renommierten Beratungsgesellschaft McKinsey - traditionell ein Sprungbrett für Talente. Bevor er bei Prudential zunächst Finanzchef wurde, arbeitete er noch beim Rivalen Aviva. Der Fußball-Fan - Anhänger von Arsenal London - gilt als einer der einflussreichsten Schwarzen in Großbritannien.

"Preis zu hoch"

Doch mit den Asien-Plänen konnte Thiam, der von einer einmaligen Chance sprach und Prudential so zu einem dominanten Anbieter von Lebensversicherungen in der Wachstumsregion machen wollte, die Aktionäre nicht überzeugen: Der Preis sei viel zu hoch, lautete die Kritik, die Integration der AIG-Tochter zudem mit vielen Risiken behaftet. Eine nie dagewesene Kapitalerhöhung von 21 Mrd. Dollar war zudem nötig. Doch auch besonders hohe Rabatte machten die Anleger nicht glücklich. Sie kritisierten die schwache Kommunikation Thiams und warfen ihm Arroganz vor. Peinlich war, dass das Prospekt mit Details der Finanzspritze nicht pünktlich verschickt werden konnte, weil die britische Börsenaufsicht noch offene Fragen anmahnte.

Nun ist die Strategie des Konzerns plötzlich völlig unklar. Thiam und Chairman Harvey McGrath, der den Deal ebenfalls aktiv vorangetrieben hat, müssen nun die Wogen glätten und verhindern, dass Prudential selbst zum Übernahmekandidaten oder zerschlagen wird, wie manche in der Branche schon munkeln. Ein Top-Investor sagt, er wünsche sich jetzt einen Überblick über die Pläne für die nächsten ein bis drei Jahre, um dann zu entscheiden.

Beim Aktionärstreffen nächste Woche, bei der der Deal eigentlich abgesegnet werden sollte, wird dem Management wohl offene Kritik entgegenschlagen. Dann könnte sich auch Thiams Zukunft entscheiden. "Das Risiko ist, dass die Firma steuerlos ist, ohne Führung", warnt Analyst Marcus Barnard von Oriel Securities bereits. Freuen können sich dagegen alle europäischen Rivalen von Prudential. Sie stehen nun weniger unter Druck, mit riskanten Übernahmen den Anschluss in Asien nicht zu verlieren. (APA/Reuters)