Es ist ein bisschen wie im Film Plötzlich Prinzessin. Da muss eine unbedarfte 15-Jährige unvermittelt ein ihr unbekanntes Königreich übernehmen. Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) war am Montagmorgen noch Regierungschef im kleinsten deutschen Bundesland (537.000 Einwohner), ein paar Stunden später, nach dem Rücktritt Horst Köhlers, plötzlich Bundespräsident von 82 Millionen Menschen.
Zwar verfügt Böhrnsen über politische Erfahrung, aber einen derartigen Karrieresprung hat er sich wohl nicht träumen lassen. Zu präsidialen Würden und Bürden kommt er, weil er gerade turnusmäßig Präsident des deutschen Bundesrats ist. Er steht der Länderkammer seit Oktober 2009 vor. Seine Machtfülle ist nun ungleich größer als im kleinen Bremen. Der 60-Jährige könnte Bundesminister entlassen oder gar den Bundestag auflösen. Hektischer Aktionismus ist von Böhrnsen aber nicht zu erwarten. Er gilt als überlegt und umgänglich, allerdings auch als beinharter Vertreter seiner Interessen, der auch schon mal Dieter Bohlen auflaufen hat lassen. Böhrnsen stammt aus kleinen Verhältnissen. Nach dem Jusstudium in Kiel geht er nach Bremen zurück, tritt in den Verwaltungsdienst ein. 1995, da ist er bereits Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Bremen, wird er zum ersten Mal in die Bremer Bürgerschaft (das Landesparlament) gewählt.
Im März 2007 steckt Böhrnsen gerade mitten in seinem ersten Wahlkampf als SPD-Spitzenkandidat, als ihn ein Anruf erreicht: Seine Frau Luise fühle sich unwohl und sei im Spital. Zwei Tage später stirbt sie mit 52 Jahren an einer Hirnblutung. Böhrnsen setzt den Wahlkampf eine Woche lang aus, dann macht er einfach weiter. Die Wahl im Mai gewinnt die SPD, woraufhin Böhrnsen die Koalition mit der CDU aufkündigt und mit den Grünen koaliert.
Große Sprünge schaffte seine Regierung bis jetzt keine, Bremen ist eines der ärmsten Länder Deutschlands. Aber Böhrnsen wird 2008 durch einen Streit bundesweit bekannt. Er verweigert Dieter Bohlen und RTL das schöne und ehrwürdige Bremer Rathaus als Casting-Location für Deutschland sucht den Superstar. Die Sendung, teilt er kühl mit, habe bloß den Zweck, Menschen zu erniedrigen. Am 14. Juni kann sich Böhrnsen übrigens quasi selbst begrüßen. Da werden in Bremen die deutschen Meisterschaften für geistig behinderte Sportler eröffnet. Ehrengast wäre Horst Köhler gewesen. (Birgit Baumann, DER STANDARD; Printausgabe, 2.6.2010)