Wie wäre es z. B. mit einem Blick ins Nato-Strategiekonzept - oder in unsere Verfassung, Kapitel Landesverteidigung?
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Überraschend war nur die Überraschung, die Bundespräsident Köhler mit seinem ungefilterten Aufzeigen der doch wohl offenkundigen Zusammenhänge zwischen militärischer und wirtschaftlicher Sicherheitspolitik im allgemeinem und jener Deutschlands im besonderen besteht. Er hat nur zu bedenken gegeben, dass ein Land von der Größe Deutschlands mit seiner "Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege (zu sichern), ... regionale Instabilitäten zu verhindern, die ... auf unsere Chancen zurückschlagen ... Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. All das soll diskutiert werden, und ich glaube wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."
Bei aller hier nur mäßig gemilderten Holprigkeit eines Hörfunktranskripts ist Köhlers Anliegen unverkennbar: Es soll diskutiert werden. Diejenigen, die in den deutschen Medien eilfertig über Horst Köhler pharisäerhaft hergefallen sind, sollten sich gefälligst daran erinnern, dass wir alle unter der Fahne des Konzepts der "umfassenden Sicherheit" und folglich z. B. in Österreich der "umfassenden Landesverteidigung" (Art. 9 B-VG) also eines Sicherheitskonzeptes vergattert sind, das alle gesellschaftlichen Dimensionen einbezieht - also auch die Wirtschaft. Das sind doch, wie man westlich von Freilassing sagen würde "olle Kamellen".
Horst Köhler hätte sich nicht einmal die Formulierung von der Sicherung "freier Handelswege" selber einfallen lassen müssen, denn die steht schon in dem legendären Strategiekonzept der Nato aus dem Jubeljahr 1999 (50 Jahre Nato). Ähnliches findet sich im Weißbuch des BVM Deutschlands 2006 im Kapitel 2 ("den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern"). Sogar die österreichische Sicherheitsdoktrin 2001 listet unter den sicherheitspolitisch zu bewältigenden globalen Herausforderungen "Energie- und Ressourcenprobleme".
Gezieltes Missverständnis
Alle drei Beispiele beziehen sich auf Zielsetzungen von Sicherheits- und/oder Verteidigungsdoktrinen und nicht auf Kriegsziele, wie manche Köhler offenbar gezielt missverstehen wollten. Allen drei Beispielen ist übrigens gemeinsam, dass die außenwirtschaftliche Dimension der jeweiligen Sicherheitspolitik weit hinter hehren Zielen wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte am Ende einer langen Liste von anderen Zielsetzungen steht.
Die vom abrupten Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten ausgelösten innerdeutschen Turbulenzen werden anderswo kommentiert. Was aber bleibt, ist die von ihm aus den Tiefen allgemeiner Verdrängung ins Licht demokratischen Diskurses gestellte Frage, welche Mittel zu welcher Zielverwirklichung, mit welcher Intensität wie lange eingesetzt werden, bzw. eingesetzt werden sollen. Auf den Anlassfall zugespitzt: Wie viele Tote investiere ich in Afghanistan in die Errichtung eines demokratischen Staates nach europäischem Muster?
Wenn also die bis heute nachgebetete These des früheren deutschen Verteidigungsministers Struck stimmt, wonach Deutschland am Hindukusch verteidigt wird, dann gibt es dazu auch eine ökonomische Dimension. Das gilt natürlich auch für die vom früheren österreichischen Verteidigungsminister Platter, ganz im Kielwasser Strucks verkündete These, wonach Österreich in Bosnien verteidigt wurde.
Im Ernst: Die wirklichen Probleme der nächsten Generationen liegen nach allem was wir wissen, tatsächlich in der Verknappung zweier Ressourcen: Erdöl und Wasser. Die eine, Erdöl ist noch lange, die andere für immer unersetzlich. Beide sind auf dem Globus ungleichmäßig verteilt. Beide brauchen oder bräuchten lange Transportwege zu ihren Nutzern.
Wie viel also werden die betroffenen Staaten und Staatengemeinschaften in die Sicherung der Versorgung mit diesen beiden Ressourcen investieren? In der Sicherheitsdoktrin Österreichs heißt es zu allen Zielen unserer Sicherheitspolitik lapidar: Der Einsatz militärischer Zwangsgewalt bleibt ein Mittel mit dem Charakter der Ultima Ratio und darf nur nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen erfolgen.
Es ist hoch an der Zeit, Sicherheitspolitik verstärkt in den demokratischen Diskurs einzuführen. (Manfred Rotter, DER STANDARD, Printausgabe, 2.6.2010)