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Zehntausende demonstrierten auf dem Taksim-Platz in Istanbul gegen die Aktion. Die Stimmung war extrem aufgeheizt, Israel warnte seine Bürger vor Reisen in die Türkei.

Foto: Reuters/Foeger

Unter den Opfern auf dem Friedensschiff sollen zehn Türken sein. Auf Verlangen Ankaras gibt es eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrats.

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"Allah u Akbar", schallt es über den zentralen Istanbuler Taksim-Platz, im Wechsel mit "Nieder mit Israel" . Auf Transparenten wird Israel mit somalischen Piraten verglichen, andere fordern "Israel raus aus Nahost" . Islamische Aktivisten, darunter viele junge Frauen im schwarzen Ganzkörperschleier, protestierten gegen den israelischen Militäreinsatz gegen den Hilfskonvoi für das blockierte Gaza. Waren es am Morgen erst einige hundert, die spontan ins Zentrum gekommen waren, strömen am Mittag bereits organisierte Massen zu Tausenden zum Taksim-Platz. Andere hatten sich bereits in der Nacht auf den Weg zum israelischen Konsulat gemacht, wo es bereits am frühen Morgen zu einer Straßenschlacht mit der Polizei gekommen war.

Von den Opfern der israelischen Militäraktion sollen zehn aus der Türkei kommen. Das entspricht auch den Zahlenverhältnissen auf den sechs Schiffen. Unter den 600 Menschen, die den Hilfskonvoi begleiten, sind 400 Türken. Auch das Flaggschiff des Konvois, die "Mavi Marmaris" , kommt aus Istanbul. Eigentümerin ist die islamische Hilfsorganisation "Insan Hak ve Hürriyetleri ve Insani Yardim Vakfi" (IHH).

Diese islamische Hilfsorganisation war anlässlich des Krieges in Bosnien gegründet worden, hatte dann die islamischen Kämpfer in Tschetschenien unterstützt und konzentrierte sich in den letzten Jahren überwiegend auf Palästina. Angeblich hat die Organisation gute Beziehungen zur Hamas. Weil es ihr nicht gelang, für die Aktion Schiffe zu chartern, hat sie kurzerhand zwei Frachter gekauft.

Gemeinsam mit anderen islamischen Hilfsorganisationen veranstaltete IHH gestern in Istanbul eine Pressekonferenz, in deren Verlauf sie Israel des Mordes an "ihren Märtyrern" beschuldigte. Einer der bekanntesten islamischen Publizisten der Türkei, Ali Bulac, bezeichnete den Angriff auf den Hilfskonvoi als "kriegerischen Akt" , den die Türkei nicht unbeantwortet lassen darf.

Militärabkommen kündigen

Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz der Regierung, die Vize-Premier Bülent Arinc in Abwesenheit von Tayyip Erdogans, der noch in Südamerika ist, veranstaltete, wurde er gefragt, ob die Türkei nun ihrerseits Kriegsschiffe an die israelische Küste beordern würde. Arinc verneinte das zwar, zählte aber auf, dass die Türkei ihren Botschafter in Jerusalem abberuft, mehrere Militärabkommen mit Israel kündigen wird und als derzeit nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates eine Dringlichkeitssitzung des höchsten UN-Organs verlangte.

Das türkische Außenministerium hatte die israelische Aktion bereits zuvor in scharfen Formulierungen verurteilt und von "irreparablen Schäden" im Verhältnis beider Länder gesprochen. Die israelische Regierung forderte ihre Bürger offiziell auf, nicht mehr in die Türkei zu reisen, immerhin dem einzigen muslimischen Land, mit dem es Jahrzehnte verbündet war. Sämtliche türkischen Fernsehkanäle, auch die, die normalerweise nur Soap-Operas senden, waren gestern den ganzen Tag über live dabei.

Auch wenn die demonstrierenden Islamisten für die Mehrheit der Bevölkerung nicht repräsentativ sind und es in Internetforen auch Kritik an dem provokativen Charakter der Hilfsaktion gab, der 31. Mai 2010 dürfte im Rückblick für das Ende der türkisch-israelischen Freundschaft stehen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 1.6.2010)