Mit ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Akzo Nobel Chemicals u. a. gegen Europäische Kommission (C-550/07 P vom 29. 4. 2010) hat Juliane Kokott, Generalanwältin (GA) beim Europäischen Gerichtshof, der Gleichstellung von Unternehmensjuristen mit Rechtsanwälten in puncto Schutz ihrer Korrespondenz eine (weitere) Absage erteilt; damit ist die schriftliche Kommunikation von Unternehmensjuristen mit ihren Geschäftsleitern - vorbehaltlich einer gegenteiligen Entscheidung des EuGH - weiterhin von einer behördlichen Kenntnis- und Beschlagnahme nicht ausgenommen. Das ist - wie im Anlassfall - besonders in Kartellverfahren von Bedeutung.

Doch an der Richtigkeit der vorgebrachten Argumente gibt es erhebliche Zweifel: Kern des Problems - und das wird aus den Schlussanträgen nicht hinreichend deutlich - ist die Frage, ob das Anwaltsprivileg auch für solchen Formen der Rechtsberatung gelten soll, die dem historischen Gesetzgeber unbekannt waren. Dieser ging vom Bild des freiberuflich tätigen Rechtsanwalts aus, der sich in von seinem Mandanten unabhängiger Weise um dessen rechtliche Belange kümmerte.

Diese Besorgung fremder Angelegenheiten setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis voraus - ähnlich der Beziehung Arzt zu Patient -, welches durch das Anwaltsprivileg geschützt werden soll. Dem modernen Unternehmensjuristen hingegen fehle dieses Element der Unabhängigkeit, da er an seinen (einzigen) Mandanten dienstvertraglich gebunden und in dessen Organisation eingegliedert ist; damit wird er aus Sicht der GA nicht in fremder, sondern in eigener Sache tätig, weshalb ihm die Berufung auf das Anwaltsprivileg zu versagen sei.

Diese Argumentation verkennt allerdings, dass trotz aller wirtschaftlichen Abhängigkeit und persönlichen Identifikation mit seinem Unternehmen der "in-house counsel" mit seiner Beratung nicht eigene Angelegenheiten erledigt, sondern die seines Arbeitgebers, weshalb die Versagung des Anwaltsprivilegs aus diesem Grund nicht einsichtig ist. Es sollte vielmehr diese Form der Rechtsberatung der Anwaltstätigkeit gleichgestellt werden; alles andere wäre - auch angesichts des in angelsächsischen Jurisdiktionen den Unternehmensjuristen gewährten umfassenden "legal privilege" - nicht sachgerecht.

Überhaupt sind die Unterschiede zwischen Unternehmensjurist und externem Anwalt wesentlich geringer, als die GA darzustellen versucht: Auch der externe Anwalt ist nicht frei von wirtschaftlichen Zwängen, er kann - zumal wenn er in große Anwaltsgesellschaften eingebunden ist - genauso von Interessenkonflikten betroffen sein wie der Unternehmensjurist, und gleichwohl er "Organ und Mitgestalter der Rechtspflege" ist, muss er von Gesetzes wegen Partei für seinen Mandanten ergreifen und sich voll für diesen einsetzen.

Auch das öffentliche Interesse spricht für eine Gleichstellung: Das Aufkommen des Unternehmensjuristen hängt nicht zuletzt mit der zunehmenden Regulierung der Unternehmen und den daraus resultierenden Risken zusammen. Ziel jedes Unternehmensjuristen und der von ihm konzipierten Compliance-Programme ist die Vermeidung von Gesetzesverstößen durch das Unternehmen, was intensive (interne) Rechtsberatung voraussetzt. Diese sollte genauso privilegiert sein wie die Beratung durch einen externen Anwalt; das Schweizer Unternehmensjuristengesetz, derzeit in Begutachtung, sieht dies vor. Es bleibt nur die kleine Hoffnung, dass der EuGH sich in diesem Fall der Meinung der GA nicht anschließen wird. (Patrick Hauser, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.5.2010)